Bilanz nach einem Jahr Kevelaer „Gesicht von Kirche wird sich wandeln“

Goch/Kevelaer · Wallfahrtsrektor Gregor Kauling spricht über die Veränderungen in der Arbeit und Glaubwürdigkeit der Kirche.

 Kevelaers Wallfahrtsrektor Gregor Kauling beantwortet im Interview viele Fragen zur aktuellen Kirchensituation.

Kevelaers Wallfahrtsrektor Gregor Kauling beantwortet im Interview viele Fragen zur aktuellen Kirchensituation.

Foto: Bianca Mokwa

Das Thema Missbrauch beschäftigt die katholische Kirche momentan mehr als alles andere. Was ist Ihre Reaktion auf die Diskussion?

Gregor Kauling Manchem, der in der katholischen Kirche arbeitet mag ein: „Ich kann es nicht mehr hören“ entweichen. Aber das ist nicht gut. Ich greife da sofort ein. Es ist so ein grässliches Verbrechen, das wird uns in der katholischen Kirche noch lange beschäftigen.

Sind Sie von Gläubigen in Kevelaer schon oft auf das Thema Missbrauch in der Kirche angesprochen worden?

Kauling Es kommt weniger vor als ich denken würde. Aber ich glaube, das liegt daran, dass es dieses Entsetzen darüber gibt, das zu einer Sprachlosigkeit führt.

Gab es in Ihrer Zeit als Priester unmittelbare Berührungspunkte zu dem Thema Missbrauch?

Kauling Ich kenne Mitbrüder, denen der Vorwurf des unangemessenen Kommunikationsverhaltens gemacht wurde. Das hat es auch am Niederrhein gegeben. Ich weiß um Anzeigen gegen Priester und Laien im Bistum Münster wegen des sexuellen Missbrauchs an Kindern und Jugendlichen. Die konkreten Taten liegen oftmals 30 oder 40 Jahre zurück. Viele Opfer können erst nach Jahrzehnten das erlittene Leid zur Sprache bringen und brauchen ein Forum, dies auch tun zu können. Die Opfergeneration ist heute oftmals älter als 40 Jahre alt. Ich persönlich bin sehr froh, in meiner eigenen Vita in der katholischen Kinder- und Jugendarbeit oder in der Schule seit Beginn der 70er Jahre nichts dergleichen erlebt oder davon gehört zu haben, dass andere vergleichbare Verbrechen an Leib und Seele erleiden mussten.

Was kann Kirche tun, um das Vertrauen der Gläubigen überhaupt wiederzugewinnen?

Kauling Ehrlichkeit ist das Erste, was wichtig ist und Transparenz. Gerade für eine Kirche, die einen hohen moralischen Anspruch stellt, ist es umso erschütternder, was passiert ist. Wir stehen aktuell vor einem Abgrund. Der Papst hat sich auf dem Gipfel dazu geäußert. Es ist nicht viel mehr herausgekommen als man vorher wusste. Das hat viele enttäuscht. Allerdings halte ich es auch nicht für falsch, den sexuellen Missbrauch von Kindern und Jugendlichen in einen gesamtgesellschaftlichen Kontext zu setzen, wie es Papst Franziskus getan hat. Die Statistiken allein für Deutschland sind ja verheerend, wenn jährlich etwa 14.000 Kinder und Jugendliche Opfer sexueller Gewalt werden.

Viele sehen das Problem im Machtmissbrauch. Wie sehen Sie das?

Kauling Ich persönlich glaube, dass es den punktuell geben mag. Aber ich bin seit 20 Jahren Priester und ganz ehrlich, die Zeiten, dass der priesterliche Dienst auf den Sockel gehoben wurde, sind vorbei. Stattdessen ist er sehr nah an der gemeindlichen Wirklichkeit. Und es tut gut, dass Männer und Frauen aus den verschiedenen Berufen Entscheidungsträger in der katholischen Kirche sind, als Pastoralreferenten, Diakone, im Kirchenvorstand und Pfarreirat in den bischöflichen Behörden und vielen anderen Tätigkeiten.

Weitere Schritte, die immer wieder diskutiert werden, sind die Veränderung der Zugangsvoraussetzungen von Priestern, zum Beispiel die Aufhebung des Zölibats. Wie sehen Sie das?

Kauling Solche Themen dürfen nicht allein aus der Krise heraus entschieden werden, sondern aus der Chance, die sie darstellen. Ich persönlich kann mir vorstellen, dass es auch verheiratete Priester geben kann. Im ersten Jahrtausend des Christentums war das noch Realität. In der Bibel ist zum Beispiel von Petrus die Rede. Der hatte eine Schwiegermutter.

Ein weiteres heißes Eisen ist die Diskussion um Frauen als Priester.

Kauling Die Kirche tut sich schwer, Frauen in ein sakramentales Weiheamt hineinzulassen. Die Argumente stammen aus der Theologiegeschichte und sicher wird das schwerer sein als das Zölibat zu lockern. Aber warum sollten Frauen nicht Entscheidungsträger werden, und sie sind es schon. Die Hauptverantwortliche für das seelsorgliche Personal in Münster ist, neben einem Mann, eine Frau. Dort gibt es keinen Priester mehr. Warum sollte eine Frau nicht sogar die Aufgabe des Generalvikars übernehmen? Als Leiterin dieser bischöflichen Behörde? Momentan ist das allerdings noch damit verbunden, dass derjenige auch Vertreter des Bischofs ist und damit Priester sein muss. Das könnte aber natürlich auch anders delegiert werden. Aber den rein administrativen Teil, das kann eine Frau machen. Und seien wir mal ehrlich, an der Basis sind es die Frauen, die das kirchliche Leben stützen.

Sie sind jetzt seit mehr als einem Jahr in Kevelaer, was wird sich im zweiten Jahr für Sie ändern?

Kauling Die Wallfahrt ist soweit vorbereitet. Am letzten Märzsamstag findet die Pilgerleitertagung statt.  Ich werde in diesem Jahr bei der Wallfahrt die Gelegenheit nutzen und einen zweiten Blick auf alles werfen. Im vergangenen Jahr war für mich noch alles neu. Oft bin ich als Pilger hier in Kevelaer gewesen. Plötzlich habe ich eine andere Perspektive.

Was wird sich verändern?

Kauling Ich glaube, es ist notwendig, dass wir, was Gottesdienstformen angeht, neue Angebote in den Blick nehmen. In Kevelaer haben wir die große Chance, durch die starke Basilikamusik und den Musikverein, auch junge Leute zu erreichen. Gemeinsam mit dem theologischen Referenten Dr. Bastian Rütten probieren wir auch andere Genres aus, zum Beispiel Lyrikabende. Und wir verstärken die Präsenz auf dem Kapellenplatz. Als die Reliquie der Heiligen Bernadette bei uns in Kevelaer war, haben wir bewusst Segnungen auf dem Kapellenplatz durchgeführt. Diese Angebote, auch außerhalb der Kirchengebäude präsent zu sein, wollen wir verstärken.

Was ist Ihr persönlicher Antrieb der Kirche zu dienen, einer Kirche, die gerade starker Kritik ausgesetzt ist?

Kauling Das ist mein persönlicher Glaube, der findet in der Kirche und den positiven Erfahrungen, die ich gemacht habe, seinen Ausdruck. Bei mir ist es der Glaube an den dreieinigen Gott, der mich durchträgt. Der Kern der Botschaft des Glaubens ist immer der Gleiche. Im Laufe der Kirchengeschichte hat es immer wieder andere Gestaltformen von Kirche gegeben. Das Gewand, das Gesicht von Kirche, wird sich ändern. Auch aufgrund der Missbrauchsaufarbeitung in der Kirche.

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