Gedenkfeier Goch stellt sich der Erinnerung

goch · 80 Jahre nachdem die Nationalsozialisten überall in Deutschland Synagogen in Brand setzten und Friedhöfe verwüsteten, gab es auch in Goch eine Gedenkfeier.

Wer allzu pünktlich kam, sorgte sich womöglich einige Minuten lang, denn zunächst standen die jungen Mädchen mit ihrer Lehrerin alleine an einer der Stellen, an denen in den vergangenen Jahren Stolpersteine verlegt wurden. Doch das blieb nicht so: Mehr und mehr Bürger gesellten sich an der Brückenstraße wie auch an der Weezer Straße, der Vossstraße, dem Blumenplatz und der Mühlenstraße zu denjenigen engagierten Gochern, die auch 80 Jahre nach dem bis heute beschämenden Ereignis nicht der Meinung sind, es sei nun genug mit dem Erinnern.

Ganz im Gegenteil wurde der Aufruf von Ruth Warrener, Lehrerin an der Gesamtschule Mittelkreis, Pfarrerin Rahel Schaller, Heinz van de Linde und einiger anderer Vertreter des Vereins Stolpersteine gehört: Die Gocher stellten sich der gemeinsamen Verantwortung und hörten zu. Da kaum ein Lebender sich mehr an die letzten in der Stadt lebenden Juden erinnern kann, müssen schriftliche Aufzeichnungen herangezogen werden, um diese ehemaligen Mitbürger zumindest ein wenig kennenzulernen. Ruth Warrener hat sich die Mühe gemacht, intensiv im Stadtarchiv und an anderen Orten zu forschen. Das macht die Familien Cohen, Devries, Epstein, Frank, Hartog, Hoffmann, Koopmann, Spanier nicht mehr lebendig, aber holt sie ein wenig in die Gemeinschaft zurück.

Schüler der Gesamtschule, der Gaesdonck und der Realschule hatten wichtige Aufgaben bei der Feierstunde. Viele der Jungen und Mädchen haben sich schon mehrfach intensiv mit dem Thema beschäftigt, denn als Schüler der Leni-Valk-Realschule (das jüdische Mädchen Leni wurde im Vernichtungslager Sobibor ermordet) ist die Auseinandersetzung mit dem Thema Judenverfolgung eine Selbstverständlichkeit. Viele Schüler der Gesamtschule waren schon mehrfach mit Ruth Warrener bei Stolpersteinverlegungen anwesend, und von Gymnasiasten darf man ein Interesse an der Geschichte des 20. Jahrhunderts sicherlich erwarten. So stellten in fünf Gruppen, die sich anschließend sternförmig auf ein gemeinsames Ziel zu bewegten, die Schüler Lichter an den Stolpersteinen auf und sprachen dazu einige Worte.

Die Gruppe um die Projektkoordinatorin zum Beispiel begann an der Brückenstraße 37. Dort lebten damals Erna und Werner Valk mit ihrer Tochter Leni. Nur drei Juden kehrten nach dem Krieg zurück, Valks waren zwei davon. Sie hatten die Jahre in verschiedenen Gettos und Konzentrationslagern überlebt, während ihre Tochter, die sie in die vermeintliche Sicherheit bei Verwandten in den Niederlanden geschickt hatten, von dort erst nach Westerbork deportiert und schließlich in Sobibor vermutlich vergast wurde. Ein grauenvolles Schicksal auch für die Eltern. „Welche Verzweiflung müssen Eltern verspürt haben, ihr Kind mit einem Schild um den Hals in einen Zug zu setzen und ins Ausland zu schicken, damit es vielleicht überleben könnte?“, fragte die Lehrerin.

Frauen, Männer und Kinder, die bis in die 30er Jahre mehr oder weniger anerkannte Mitbürger waren, verloren spätestens 1938 ihre Heimat, ihr Hab und Gut, sehr viele ihr Leben. Viehhändler Hermann Daniel überlebte in einem Versteck, Familie Frank wurde von Boxmeer aus deportiert, Jenny Jacobs, Witwe eines Getreidehändlers, starb vermutlich zuhause, weil sie niemanden mehr fand, der sie, die Jüdin, versorgte. Von der großen Familie Stern, einst ehrenwerte Kaufleute, überlebte vermutlich niemand. Familie Epstein emigrierte früh genug in die USA und in die Schweiz, Ludwig Hartog, Mitinhaber der Gocher Lederwerke und Ehrenbürger der Stadt, zog in die Niederlande und kehrte nicht zurück. Nach den Recherchen von Ruth Warrener wurden 55 Gocher jüdischen Glaubens im KZ getötet, 39 emigrierten.

Am Platz der früheren Synagoge und jüdischen Schule in der Herzogenstraße trafen sich die Teilnehmer der Gedenkveranstaltung, dort sprach Pfarrerin Schaller mahnende Worte: Die Ausgrenzung von Menschen aus zahlreichen Gründen stehe auch heute wieder auf der Tagesordnung. „Deshalb: „Augen auf, Mund auf, Haltung zeigen!“ Gocher SS-Leute hatten in der Nacht auf den 10. November 1938 die Synagoge in Brand gesteckt, der Feuerwehr war das Löschen untersagt worden.

Viele Gocher wanderten im Anschluss mit zum Museum, wo Warrener, Heinz van de Linde, Jürgen Kranz und Holger Zenker aus den Prozessakten zum Synagogen- und Brandstifterprozess 1947 vorlasen. Die Akten haben die Aussagen der letzten Zeitzeugen bewahrt.

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