Goch Freiberufliche Hebammen vor dem Aus

Goch · Im Juli 2015 will auch der letzte Versicherer die Berufshaftpflicht für freiberufliche Hebammen aus seinem Angebot streichen. Gochs Bürgermeister Karl-Heinz Otto fordert die Bürger auf, sich für die Betroffenen einzusetzen.

Umgerechnet 30,68 Euro im Jahr musste eine freiberufliche Hebamme 1981 zahlen, um ihre Dienstleistungen zu versichern. Ein Betrag, über den die Hebammen heute nur noch schmunzeln können. Das Thema allerdings ist bitterernst: "2004 kostete die Haftpflichtversicherung 1352 Euro, 2012 waren es rund 4200 Euro, in diesem Jahr sind die Kosten auf mehr als 5000 Euro gestiegen", sagt Marina van Holt-Kreutzenbeck, freiberufliche Hebamme der "Lebensraum"-Praxis in Goch.

Ein beträchtlicher Kostenpunkt, der für viele Hebammen kaum noch zu stemmen ist und in jedem Fall den Nettolohn enorm drückt. Doch es soll noch dicker kommen: Ab Juli 2015 will auch der letzte Versicherer, der die Haftpflichtversicherung anbietet, das Produkt streichen. Wenn die Nürnberger Versicherung ihren Entschluss nicht verwirft, haben die freiberuflichen Hebammen in ganz Deutschland ab Mitte 2015 keine Möglichkeit mehr, ihre Arbeit zu versichern.

"Das käme einem Berufsverbot gleich", sagt Gochs Bürgermeister Karl-Heinz Otto, der die Öffentlichkeit auf das Problem aufmerksam machen will. Berufsverbot deswegen, weil die Freiberuflerinnen nur praktizieren können, wenn sie versichert sind. Will heißen: Wenn die Nürnberger Versicherung ab Mitte 2015 ihre Haftpflicht für Hebammen einstellt, gehen in sämtlichen Hebammenpraxen in ganz Deutschland die Lichter aus. Auch das Team von "Lebensraum" wäre dann am Ende.

"Mit dieser Situation wird das Ende eines Berufsstandes eingeläutet und damit das Ende der Versorgung der Familien", sagt Otto. Zwar gäbe es in den Krankenhäusern weiterhin Kreißsäle und auch Hebammen, da diese sich nicht selbst versichern müssen, die Kapazitäten würden aber schlicht nicht reichen, so der Bürgermeister: "Die Krankenhäuser wären komplett überfordert, wenn jede Schwangere in die Notaufnahme gehen würde." Hinzu komme, dass Praxen wie der "Lebensraum" die Mütter und Säuglinge auch nach der Geburt weiterhin betreuen und begleiten.

Der Versicherung sei kein Vorwurf zu machen: "Versicherungen sind Wirtschaftsunternehmen, die Streichung der Haftpflicht hat betriebswirtschaftliche Gründe", so der Bürgermeister. Der Grund für die exorbitante Erhöhung der Versicherungsbeiträge im Laufe der Jahrzehnte und die nun geplante Streichung der Haftpflicht aus dem Sortiment sind zu hohe Haftungssummen, die anfallen, falls ein Kind bei einer Geburt zu Schaden kommt.

Die Bundesregierung müsse einen Weg finden, um den Fortbestand freiberuflicher Hebammenangebote zu sichern, sagt Otto. "Man könnte beispielsweise einen Fond einrichten. Für Banken gibt es sowas komischerweise, für einen so wichtigen Bereich wie die Geburtshilfe aber nicht", sagt der Bürgermeister, der gleichzeitig auf die allgemein immer schlechter werdende medizinische Versorgung im ländlichen Raum aufmerksam macht. "Immer mehr Hausarztpraxen schließen — gerade hier auf dem platten Land — weil es keine Nachfolger gibt. Es muss dringend etwas passieren beim Thema medizinische Versorgung", so der Bürgermeister.

29 freiberufliche Hebammen praktizieren derzeit im Kreis Kleve, sie alle blicken derzeit in eine ungewisse Zukunft. "Hier muss dringend Betriebssicherheit geschaffen werden. Ich fordere alle Bürgerinnen und Bürger auf, sich für die Hebammen einzusetzen und eine Flut an Briefen an das Gesundheitsministerium und Herrn Gröhe zu schicken", sagt Otto. Wenn sich bis Mitte 2015 nichts ändert, dann werden auch die freiberuflichen Hebammen, die den hohen Versicherungskosten bis dahin trotzen konnten, ihre Arbeit einstellen müssen.

(RP)
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