Großer Andrang an den Bahnsteigen Hier fährt die berühmte Dampflok durch den Niederrhein
Niederrhein · Am Samstag fährt die berühmte Dampflok 01 1104 durch den Niederrhein. An den Bahnhöfen herrscht großer Andrang, manch ein Fahrgast kommt sogar in Verkleidung. Die Bilder vom Eisenbahn-Spektakel.

Die historische Dampflok auf dem Weg durch den Niederrhein
Ein Hauch von Hogwarts wehte am Samstagmorgen über den Gocher Bahnhof. Eine der berühmtesten Dampflokomotiven Europas, die 01 1104, startete dort zischend und pfeifend ihre Fahrt durch den Niederrhein bis nach Rüdesheim. Hunderte hatten sich zum Auftakt versammelt. Entweder, weil sie eines der begehrten Tickets ergattert hatten. Oder, weil sie einfach einen Blick werfen wollten auf die alte Dame unter den Lokomotiven, die eine beachtliche Anzahl an Waggons hinter sich herzog.
Hunderte beim Auftakt in Goch
Wer dabei sein wollte, musste früh aufstehen: Laut Plan sollte sich der Sonderzug mit den schmucken „Centralbahn“-Abteilwagen um 7.03 Uhr in Bewegung setzen. Als viele der Besucher gegen 6.30 Uhr am Bahnsteig eintrafen, wartete dort aber zunächst – ganz unromantisch – der RE10 nach Düsseldorf. Klar: Zwar handelt es sich bei der Fahrt mit der Dampflokomotive um einen Sonderzug, aber das Gleis muss er sich dann eben doch auch mit den ganz normalen Verbindungen teilen.
Dass die 01 1104 am Ende nicht ganz pünktlich startete, hatte aber nicht etwa mit einer Verspätung des Niersexpress zu tun. Zu viele Menschen wollten noch ein Erinnerungsfoto am Bahnsteig schießen, ehe sie ihr komfortables Abteil bezogen. Da musste der Schaffner dann schon drängeln: „Wir haben einen Fahrplan zu beachten.“
Die Menschenmenge, die sich zum Auftakt des langen Tages traf – die Ankunft zurück in Goch wurde am Samstag immerhin erst nach 23 Uhr erwartet –, war bunt gemischt: Eltern, die ihren Kindern einen Dampfzug zeigen wollten. Senioren, die sich noch daran erinnern können, früher selbst in einem solchen unterwegs gewesen zu sein. Romantiker, die sich einmal wie in den Filmwelten des Orient-Express oder Casablanca fühlen wollten – und natürlich Eisenbahnliebhaber, die am Bahnsteig etwas wehmütig über die alte Technik fachsimpelten.
Mit an Bord war auch eine Gruppe um den Emmericher Arzt Roland Hilgenpahl und Jörg Cosar aus Kleve. Die rüstigen Herren haben sich für den Freundeskreis gleich ein ganzes Abteil gemietet. „Tatsächlich haben wir auf einer Zugfahrt nach Würzburg in der Presse von der Fahrt gelesen und ganz kurz entschlossen die Tickets gebucht“, sagt Hilgenpahl. „Ganz wichtig war natürlich ein Waggon in der Nähe des Barwagens“, erklärt er und lacht. „Zum Frühstücken natürlich.“
Ob die Fahrt nun nach Rüdesheim geht oder woanders hin, das war den meisten Fahrgästen wohl egal. Es geht ums Erlebnis, so auch bei dieser Reisegruppe. „Aber wir haben uns schon einen Platz in einem schönen Lokal in Rüdesheim reserviert.“ Allzu viel Verspätung sollte der Zug dafür am Ende wohl aber nicht mitbringen.
Viele Familien in Geldern
Ortswechsel: Eine halbe Stunde später haben sich am Bahnhof in Geldern rund 200 Menschen versammelt. Einige wenige haben ein Ticket und wollen zusteigen. Die meisten sind aber früh aufgestanden, nur um die alte Dampflok zu sehen, darunter viele Familien mit kleinen Kindern. Dann geht es los: Die dampfende Lok ist auf der geraden Einfahrt in den Bahnhof schon von weitem zu sehen, fährt dann allen vorbei und muss ganz weit vorne halten, damit alle Abteilwagen von der Bahnsteigkante aus erreichbar sind. Es passt gerade so. Einige Zugfreunde rennen mit ihren Kameras auf den Parkplatz am Berufskolleg, um von dort einen besseren Blick auf die Dampflok zu haben. Nach fünf Minuten ist alles vorbei, der Zug setzt sich schnaubend in Bewegung in Richtung Kerken.
Magische Momente in Neuss
Ähnliche Szenen in Neuss Auch hier verwandelte sich der Bahnsteig kurz in das berühmte „Gleis 9 3/4“, als Zauberschüler mit Umhang und Zauberstab in den Hogwarts-Express zustiegen. Oder waren es doch nur verkleidete Fahrgäste auf dem Weg nach Rüdesheim?
Trainspotter in Krefeld
Ortswechsel nach Krefeld. Auf Gleis zwei trifft sie ein – nicht auf dem berühmten Gleis neundreiviertel nach Hogwarts, wie eine muntere Truppe vor dem Krefelder Hauptbahnhof betont, die gleich mit der historischen Lok „01 1104“ abdampfen will. „Wir wollen einmal eine Nostalgiefahrt mit einer echten Dampflok machen“, sagt der Uerdinger Ulrich Lohmar, der mit Ehefrau Evelyn, Bruder Udo und dem Freund Jörg Ludewig unterwegs. Alle hoffen, dass die Strecke nicht von Trainspottern auf der Jagd nach dem besten Foto blockiert wird wie im Juni dieses Jahres in Mönchengladbach, als die Fahrt der „01 1104“ gestoppt werden musste.
Gleis zwei im Krefelder Bahnhof ist an diesem Morgen bestens besucht; der Zug ist für 8.13 Uhr angekündigt. Mathias Gocht und sein Sohn Oskar stehen als Trainspotter bereit zum Fotografieren. Mathias Gocht schwärmt von einer ähnlichen Fahrt, bei der vor allem die Strecke im Rheintal umwerfend schön war. Beide Gochts sind keine fanatischen Trainspotter, „aber wenn sich die Gelegenheit wie jetzt bietet, schauen wir uns das an“, sagt Oskar.
8.10 Uhr: Die Leute, die zum Fotografieren gekommen sind, driften langsam nach vorn zur Spitze des Bahnsteiges, von wo aus der Zug erwartet wird. Er kommt aus Kempen. Ein Mann hat einen Selfie-Stab für sein Handy dabei, um den Zug ohne Lebensgefahr möglichst frontal abbilden zu können. In der Tat: Man driftet unwillkürlich immer näher an die Bahnsteigkante, bis man sich zur Ordnung ruft: Hey, es ist ein Foto, mehr nicht – und zwei Schritte zurückgeht.
Die Anzeigentafel zeigt mittlerweile 8.14 Uhr als Ankunftszeit an. Um 8.23 Uhr ist dann der erste Pfiff und zu hören und das erste Wölkchen zu sehen, bevor diese prachtvolle schwarz-feuerrote Lok an einer Kurve in Sicht kommt. Die Dampfwolke wird größer und größer, das Wummern der Maschine machtvoller, und als der Zug in den Bahnhof einfährt, ist es, als hole die Pfeife mit einem relativ leisen Ton Luft, bevor sie einen Pfiff ausstößt, der ohrenbetäubend ist und durch Mark und Bein geht. Wer jetzt noch zu nah an der Bahnsteigkante steht, spritzt regelrecht zurück: Diese Maschine ist ehrfurchtgebietend. Es ist mindestens so toll, sie gehört und mit dem Körper gespürt, wie sie gesehen zu haben. Der Rest ist Einsteigen: Die Lok kommt weit außerhalb des Bahnhofs zum Stehen. Zu weit weg, um für weitere Fotos hinterherzulaufen. Dennoch: 30 Sekunden Einfahrtsglück, 30 Sekunden Trainspotter, 30 Sekunden Staunen über ein sagenhaftes Stück Technikgeschichte.
Das ist die berühmte Lokomotive
Die 1940 in Berlin gebaute Stromlinien-Schnellzugdampflok 01 1104 hat Geschichte geschrieben. Nach mehr als vier Millionen Kilometern Laufleistung stand sie rund 30 Jahre in Museen. Der englische Sammler Dr. Peter Beet kaufte den 2470 PS starken Kraftprotz Mitte der 1970er Jahre von der Deutschen Bahn und überführte die Lok auf die Insel ins Eisenbahnmuseum Steamtown Carnforth nach Nordengland. Dort stand der schwarze Riese rund 20 Jahre in einem der namhaftesten Eisenbahnmuseen des Kontinents bis der Verein „Faszination Dampf“ die Lok wieder nach Deutschland zurückholte – mit dem Ziel, die von Kohle auf Ölfeuerung umgebaute Lokomotive wieder fahrbereit zu machen.
Der Verein hauchte der fast schrottreifen Lok in den Eisenbahnwerkstätten Krefeld tatsächlich wieder neues Leben ein. Fünf Jahre sollte die Sanierung dauern, daraus wurden am Ende 14 Jahre bis die Lok nach Tausenden von Arbeitsstunden wieder aufs Gleis gesetzt wurde. Und die Begeisterung für den Zug war so groß, dass bei der Jungfernfahrt im Juni teilweise die Strecke gesperrt werden musste, weil so viele Schaulustige auf den Gleisen standen und sogar von Strommasten aus versuchten, Fotos der Lok zu schießen.
Am liebsten hätten die Eisenbahnfans übrigens die Tour in Kleve starten lassen, doch dort ist der Bahnhof schlicht zu klein. Denn die Schnellzugdampflok 01 1104 zieht – sehr zum Staunen der Besucher in Goch – zwölf Waggons. Sie fährt am Samstag über Kevelaer, Geldern, Aldekerk, Kempen, Krefeld, Neuss und Dormagen nach Rüdesheim am Rhein.