Goch/Kleve Erinnerungen an das Abenteuer Waldbahn

Goch/Kleve · Die Loren der vor 100 Jahren erbauten Waldbahn waren einst für Buben ein Spielzeug. Der Gocher Hans-Josef Clossen erinnert sich an den Holztransport von der Grenze nach Pfalzdorf.

"Es war einmal" - so beginnt das Lied vom treuen Husar, so fangen viele Märchen an. Das gilt aber auch für unzählige Dinge, die längst Geschichte sind. Gottlob haben heimatverbundene Zeitzeugen viele lokale Ereignisse und heute für selbstverständlich gehaltene, damals aber oft als sensationellen Fortschritt empfundene Erfindungen oder Einrichtungen immer weitererzählt oder sogar dokumentiert. Als pars pro toto für die Schnelllebigkeit im 21. Jahrhundert sei auf die industrielle Entwicklung, auf die gewachsene Mobilität, die globale Abhängigkeit, die Vielfalt der Medien und das total veränderte Kommunikationswesen verwiesen. Alte Leute "vertällen" gern "van frugger". Dabei sind auch junge Menschen bei einer derartigen "Reise in die Vergangenheit" ganz Ohr.

Seine lebendigen Erinnerungen an die vor nunmehr 100 Jahren im Reichswald erbaute Kleinbahn hat der gebürtige Gocher und in Pfalzdorf, ab Kriegsende in Bedburg-Hau aufgewachsene Hans-Josef Clossen zu Papier gebracht und mit seinem druckfrischen Gedichtsbändchen seinen Konabiturienten von 1951 zugeschickt.

Stets der Heimat verbunden blickt er in frühe, gemeinsam durchlebte Jahre zurück. Dazu animiert wurde er durch mehrere RP-Berichte über das seltene, 1945 ausgediente Transportmittel. Seine Schilderung eigener Erlebnisse spricht deswegen besonders an, weil er in der Nähe Kleinbahnstation wohnte und die Gleisstraße sich direkt am Pfalzdorfer Bahnhof befand. Die Trasse der Kleinbahn führte unmittelbar am Garten seines Zuhauses vorbei. Das Werksgelände als Anfangs- wie Endstation lag mit Lokschuppen und Rangiergelände neben dem Schienenstrang der Reichsbahn am Pfalzdorfer Bahnhof. In diesem Gebäude hatte der Großvater als Stationsvorsteher sein Domizil. Die auf einer Spurbreite von 60 Zentimeter rollenden Loren schafften das Holz heran, das - zu "Stempel" verarbeitet - von hier aus auf Güterwagen der Reichsbahn die Zechen erreichte, die damit ihre Flöze abstützten.

Seine Jungenjahre erlebte Clossen im Krieg, als auch die Waldbahn bis zu ihrer Stilllegung für militärische Zwecke genutzt wurde. Für ihn war es ein großes Erlebnis, wenn er auf einer der leicht bedienbaren Diesel-Zugmaschinen (diese hatten die beiden stärkeren, Max und Moritz genannten Oldtimer-Dampfloks abgelöst) mitfahren durfte. Es fuhren immer zwei Lorenzüge zugleich in den Reichswald. Die beiden Lokführer empfanden ihre Aufgabe wohl als langweilige Sache - sie saßen gern zu zweit auf der ersten Lok, um miteinander zu klönen - die zweite überließen sie dem Jungen. Das war kaum ein Risiko, aber er fühlte sich fast schon wie ein Erwachsener anerkannt.

Irgendwo auf der Strecke gab es eine ziemlich baufällige Brücke. Kein Fahrer wollte mit einem schwer beladenen Zug darüber fahren. Also wurde angehalten. Ein Fahrer stieg aus, lief zum anderen Brückenende und wartete, um dort wieder aufzuspringen. Sein Kumpel setzte die erste Lok in langsame Bewegung, sprang kurz vor der Brücke aus dem Führerstand und ließ den Zug unbemannt weiterrollen. Jenseits des Übergangs stieg der erste Fahrer wieder hurtig in die Lok und brachte das ganze Gefährt nach kurzer Strecke zum Stehen. Danach wurde auf gleiche Weise der zweite Zug über die Brücke gebracht. Diese umständliche, wohl nicht TÜV-gemäße Prozedur, sei immer mit Spannung beobachtet worden.

Im Krieg wurde vieles Mangelware, auch gab es weniger Spielsachen. Doch die Jugend weiß sich immer zu helfen, zeigte sich erfinderisch. Sie nutzte damals - ohne dabei die Gefahren zu sehen - leere Kipploren als Spielzeug, vornehmlich in der Dämmerung, um möglichst nicht erwischt zu werden.

Diese ließen sich auf dem Rangiergelände der Waldbahn fast mühelos über die Gleise rollen, zumal die Weichen leicht zu verstellen waren. Wie von Geisterhand gelenkt, schepperten die Wagen über die Schienen. Besonders wagemutige Buben sprangen auf die rollenden Loren und ließen sich durch das Gelände kutschieren. Ein verbotener und gerade wohl auch deshalb interessanter Zeitvertreib, der nach Clossens Kenntnisstand ohne Unfälle blieb.

Übrigens haben Reportagen über vergangene Vorkommnisse oder aufgelöste Unternehmen oft zu Rückmeldungen und Nachfragen geführt, auch über die Grenze hinweg. Das betraf besonders einige Recherchen über das letzte Kriegsjahr 1944/45, als das Kleverland lange Frontgebiet war. Etliche Dokumente wurden erst nach siebzig Jahren freigegeben.

Eines Tages sind auch die letzten Zeitzeugen nicht mehr da, manche nicht erfasste Episode versinkt endgültig im Meer der Vergessenheit.

(l)
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