Dorfspaziergang in Goch-Kessel Das Golddorf an der wilden Niers

Goch-Kessel · Kessel ist weitaus mehr als GochNess und Viller Mühle. Ein heimatverliebtes Trio um Bernd Thönnesen stellte unserem Autor bei einer Radtour die Dorfgemeinschaft vor, die für ihre Natur kämpft und in Erinnerungen schwelgt.

 Bernd Thönnesen, Andreas Wagener und Rainer Brökelschen (von links) genießen den Duft des blühenden Lavendels vor der Kirche St. Stephanus in Kessel.

Bernd Thönnesen, Andreas Wagener und Rainer Brökelschen (von links) genießen den Duft des blühenden Lavendels vor der Kirche St. Stephanus in Kessel.

Foto: Evers, Gottfried (eve)

Es ist ein stolzes Gesicht, das Bernd Thönnesen (63) aufzieht, wenn er auf die renaturierte, sich durch die Natur schlengernde Niers blickt. Es kreucht und fleucht am bunten Biotop. „Hier könnte ich stundenlang stehen“, sagt er. Ein Satz, den der Vorsitzende des Heimat- und Verkehrsvereins immer wieder bemüht, wenn er Auswärtigen Kessel vorstellt. Jener Ort, der sich seit knapp 60 Jahren Spargel- und seit 2006 Golddorf nennt. Das Dorf, das für Thönnesen vor allem eines ist: Heimat. „Ich bin einer der wenigen, die tatsächlich noch in Kessel geboren worden sind. Ich bin Kesseler durch und durch“, sagt der 63-Jährige.

Wenn also einer der richtige Ansprechpartner für einen Dorfrundgang in Kessel ist, dann der Christdemokrat Thönnesen. Was die Dorfgemeinschaft auch bewegt – der Diplom-Wirtschaftsingenieur hat ein offenes Ohr für die kleinen und großen Belange der Kesseler. Und er hat Mitstreiter. 180 um genau zu sein. Die Mitglieder des Heimatvereins sind Aktivposten im Dorf. Zwei von ihnen sind Rainer Brökelschen (80) und Andreas Wagener (48). Sie begleiten die Radtour durch das 2.129 Einwohner zählende Dorf. „Früher kannte ich alle Kesseler, heute noch etwa die Hälfte. Aber fast alle hat man schon mal gesehen“, sagt Thönnesen.

Doch bevor es losgeht, ist dem Trio eine Anmerkung wichtig. Nämlich die, dass der Rundgang eigentlich zu früh kommt. Gerade entstünde nämlich in Kessel ein historischer Weg, der gleich mehrere Routen für Spaziergänger und Radfahrer vorgebe. Am 13. September will der Verkehrs- und Heimatverein die Route mitsamt seiner Info-Tafeln eröffnen. Thönnesen, der auch im Ortsvorstand der CDU Kessel mitwirkt, wohnt auf dem Königshof Ketele, ab dem 13. Jahrhundert Hof Overbruch genannt. Erstmals wurde das Anwesen im Jahre 1057 auf einer Urkunde des Kaisers Heinrich IV. erwähnt. „Damit handelt es sich hier um den ältesten Hof des Dorfes“, sagt Thönnesen. Der Begriff Ketele leitet sich vom Ketelwald ab, dem heutigen Reichswald. Wer sich von Kleve aus dem Dorf nähert, muss durch das größte zusammenhängende Waldgebiet des Niederrheins hindurch. Er liegt der Dorfgemeinschaft am Herzen. Planungen, die den Reichswald in seinem Bestand gefährden, bringen die Kesseler auf die Straße.

So geschehen im Jahr 2017. Hunderte protestierten damals gegen Windräder im Forst, Bernd Thönnesen leitete gar eine Bürgerbefragung in die Wege. Das Ergebnis war eindeutig: 96 Prozent der Kesseler Bürger lehnten den Ausbau vor ihrer Haustür ab. Der Widerstand hatte Erfolg, die Pläne sind mittlerweile vom Tisch. „Wir sind auf keinen Fall gegen erneuerbare Energien. Aber dafür darf nicht der Wald verschwinden“, sagt Wagener, der durch die Anti-Windkraft-Proteste zum Heimatverein gestoßen ist. Er lebt erst seit wenigen Jahren in Kessel, will aber mit seiner jungen Familie lange bleiben. Ohnehin seien in den vergangenen Jahren junge Familien gen Kessel gezogen – der Neubaugebiete sei Dank.

Ein Streifzug durchs Dorf dürfe ihm zu Folge nicht ohne ein Halt an der St. Stephanuskirche stattfinden. Das Ende des 19. Jahrhunderts fertiggestellte Gotteshaus liegt, ungewöhnlicherweise, nicht im Ortskern, sondern abseits der großen Straßen nahe der Niers. „Wir würden uns wünschen, dass hier noch ein bisschen mehr los wäre“, sagt Thönnesen. Immerhin gebe es an der Pfarrkirche genügend zu erleben. In der Kirche ist ein romanischer Taufstein aus dem 13. Jahrhundert zu besichtigen, auf dem Kaiser-Otto-Platz steht ein steinernes Schachfeld, der Lavendel blüht prächtig. Für Farben sorgten auch die Kinder des benachbarten Kindergartens, die eine Kette von bemalten Steinchen rund um die Kirche angelegt haben. „Die vielen Kinder beleben unseren Ort“, sagt Rainer Bröckelschen.

Das eigentliche Wahrzeichen Kessels sei ihm zu Folge die Mühle am Ortseingang - abgesehen von den Besucher-Magneten GochNess und Viller Mühle natürlich. Jahrzehntelang wurde die Mühle als Sägewerk genutzt, später diente sie als Jugendtreff, mittlerweile befinden sich Büro-Räume in den historischen Gemäuern. Gegenüber steht noch immer der alte Mühlenhof der Familie Willemsen. „Die Mühle ist eine Sehenswürdigkeit, die zu Unrecht ein wenig im Schatten steht“, sagt Thönnesen. Unterwegs trifft er immer wieder auf bekannte Gesichter. „Das Besondere an Kessel ist, dass hier noch jeder jeden grüßt. In größeren Städten ist das völlig anders, sogar in Goch schon“, sagt Wagener.

Auf dem Weg zum Ortskern schlägt das Trio einen Abstecher über die Feldwege vor. Immerhin sei auch die Landwirtschaft identitätsstiftend für Kessel. Nicht ohne Grund nennt sich das Dorf seit den 1960er-Jahren Spargeldorf. Von diesem Erbe ist allerdings nur noch wenig übriggeblieben. „Früher gab es hier 35 Spargelbauern. Auch wenn sie damals nicht alle im landwirtschaftlichen Stil angebaut haben, ist die Entwicklung schon bemerkenswert. Heute gibt es nämlich nur noch einen Hof“, sagt Thönnesen. Kerstin und Johannes Ophey bauen Spargel in rauen Mengen an – und führen ihr eigenes Restaurant. Allzu viel kulinarische Konkurrenz gibt’s in Kessel allerdings nicht mehr.

 In den vergangenen Jahren wuchs Kessel mit seinen Neubaugebieten.

In den vergangenen Jahren wuchs Kessel mit seinen Neubaugebieten.

Foto: Evers, Gottfried (eve)
 Das Trio stellte unserem Autor das weitläufige Dorf bei einer Radtour vor.

Das Trio stellte unserem Autor das weitläufige Dorf bei einer Radtour vor.

Foto: Evers, Gottfried (eve)

Am sogenannten Vier-Gaststätten-Eck an der Kranenburger Straße ist es übersichtlich geworden. Früher konkurrierten das Spargelhaus Stoffelen sowie die Gaststätten Spronk, Willemsen-Kuypers und Gossens um Kundschaft. Heute bietet nur noch Stoffelen ganzjährig niederrheinische Küche an. „Die Gasthaus-Landschaft hat sich stark verändert. Früher hatten wir mal acht Kneipen in Kessel und Grunewald, heute ist die Auswahl klein“, sagt Thönnesen. Ohnehin steht es um die Nahversorgung in Kessel schlecht. Einen Supermarkt gibt es nicht, 2017 schloss die letzte Bank-Filiale. Die Volksbank versorgt ihre Kunden mit einem Geldautomaten. „Es bleibt unser Traum, hier einen Supermarkt anzusiedeln, Netto beispielsweise“, sagt Thönnesen. Bis dahin wird allerdings noch viel Wasser die Niers heruntergeflossen sein. Die Aussicht darauf ist dem Trio aber ohnehin noch lieber als jene auf einen Discounter.

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