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Portrait Leben mit und von der Kunst

Goch · Sie singt, er malt, beide wollten nie anderes machen als Kunst. Sie leben ihren Traum, könnte man sagen, auch wenn das nicht immer leicht ist.

 Seit inzwischen neun Jahren nutzen Gesine Lersch-van der Grinten und Martin Lersch die ehemalige Kofferausgabe und Expressgut-Halle im Bahnhof Goch als Atelier.

Seit inzwischen neun Jahren nutzen Gesine Lersch-van der Grinten und Martin Lersch die ehemalige Kofferausgabe und Expressgut-Halle im Bahnhof Goch als Atelier.

Foto: Markus van Offern (mvo)

Ein Kleinstadt-Bahnhofsgebäude ist im allgemeinen ein eher schlichter Ort. Mit Glück gibt es dort einen Fahrkartenschalter und die Möglichkeit, sich bei Regen unterzustellen. Der Gocher Bahnhof allerdings weist eine Besonderheit auf: Dort haben Kreative ihr Domizil gefunden: Seit inzwischen neun Jahren nutzen Martin Lersch und seine Frau Gesine Lersch-van der Grinten die frühere Kofferaufgabe und Expressgut-Halle als Atelier. Sie, die Sängerin, und er, der Maler. Der Konzertflügel und die Farb-Tuben vertragen sich dabei gut miteinander. Gelegentlich rücken sie sogar besonders nah zusammen, denn Gesine malt auch gerne. Gemeinsame Projekte des Paars sind inzwischen keine Ausnahme mehr.

„Ich wollte eigentlich nie eigene Ausstellungen, obwohl ich immer gemalt habe. Ich bin schließlich schon als Kind mit vielen malenden Leuten zusammengekommen“, erinnert die Tochter von Hans van der Grinten, dem Kunstsammler und früheren Moyland-Direktor aus Kranenburg. Neuerdings hat sie ihre Begeisterung für die Kunst des Bauhaus’ entdeckt und arbeitet an einem größeren Werk. Im kommenden Jahr gibt es zum 100-jährigen Bauhaus-Jubiläum gemeinsam mit ihrem Mann ein gemeinsames Projekt. Beide freuen sich darauf.

„Man sollte immer machen, was für einen wichtig ist. Es gibt so wunderbar Vieles, das einen weiter bringt und einem gut tut. Wir leben ziemlich bescheiden, aber ich finde es auch schön, wenig zu haben. Das bringt einem große Freiheit“, sagt Gesine van der Grinten. Dass sie nicht im Ensemble einer großen Bühne gelandet ist, sondern die längste Zeit ihres Erwachsenen-Lebens frei gearbeitet (und drei Kinder erzogen) hat, hat natürlich zur Folge, dass so etwas wie finanzielle Sicherheit eher nicht gegeben ist. „Das ist der Preis dafür, dass wir über uns selbst bestimmen können“, sagt sie. Die Sängerin hat in ihrer Zeit an einem Stadttheater erlebt, dass es viele Kollegen gibt, „die ziemlich frustriert sind. Sie wurden als Solisten ausgebildet und gehen dann irgendwo in der Menge unter. Das wollte ich nicht.“

Nun singt die Mezzosopranistin, wenn ihr der Auftrag gefällt, dazu unterrichtet sie. Zu ihren Gesangsstunden kommen Kinder ab etwa elf Jahren, die älteste Schülerin ist 64 Jahre alt. Die wenigsten wollen, wie die junge Gesine, Opernsängerin werden. „Ich hatte mit zehn Jahren die ,Zauberflöte’ erlebt und damals beschlossen, Sängerin zu werden. Von da an kam nichts anderes mehr in Frage. In Maria Hardenberg fand ich eine wunderbare und geduldige Lehrerin, die mich auch menschlich weitergebracht hat.“

Denn Kunst ist mehr als die Technik, richtig zu singen oder genau zu malen; der Künstler muss bei sich sein, mit sich im Reinen. Als eine Erkrankung die 50-Jährige in eine Sing-Krise stürzte, habe ihr zweierlei geholfen: ihr Mann, der mit ihr „zur Ablenkung“ malte, und ein dreiwöchiger Aufenthalt in einem buddhistischen Kloster. „Die Mönche und Nonnen dort haben mir vor Augen geführt, wie reich mein Leben eigentlich ist, in welcher Fülle ich lebe, dass es ein Glück ist, tun zu können, was einen erfüllt.“ Von diesem Bewusstsein werde sie dauerhaft zehren, da ist Gesine van der Grinten ganz sicher.

Für Martin Lersch kam ebenfalls nie etwas anderes in Frage als die Kunst. In den 70er Jahren besuchte der Mönchengladbacher die Werkkunstschule in Krefeld, und obwohl die Dozenten bei der Aufnahmeprüfung nicht so sicher waren, ob der noch sehr junge Mann bei ihnen richtig aufgehoben wäre, zog er auch das Illustrations-Studium durch und legte Pinsel und Bleistift nie wieder weg. Auch Lersch stellt nicht nur aus, er macht auch Karikaturen für die Klever Lokalausgabe der Rheinischen Post und arbeitet gerne mit dem Nachwuchs. In Workshops lässt er immer wieder Kinder sich ausprobieren. „Ebenso wenig, wie Gesine Kindern beibringen möchte, zu singen wie sie, will ich den Jugendlichen erklären, wie Malen geht. Wichtiger ist, dass die Kinder Sehen lernen, im Fall der Musik eben Hören.“

„Es gibt Schüler, die zuerst keinen Ton treffen, denen muss ich helfen, erst einmal zu sich zu kommen“, sagt die Sängerin. Nach ihrer Erfahrung komme Leistung vor allem durch gute Beziehungen zustande - zu Eltern, Lehrern, später zum Publikum. Bevor es an Stimmbildung und Atemtechnik gehe, müsse die Leidenschaft da sein. Und bei allem Üben erhalten bleiben.

Sie selbst erarbeite gerade ein Brahms-Programm, auch Lieder von Händel begleiten sie. Dass die Stimme dies inzwischen wieder zulasse, mache sie natürlich froh. Und dankbar.

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