Goch Die Gaesdonck hat drei Buch-Detektive

Goch · Herausfinden, was eigentlich nicht mehr rauszufinden ist: Drei Männer lüften zur Zeit detektivisch Geheimnisse, die seit Jahrhunderten niemand wirklich gelüftet hat. Klären die Herkunft kostbarster Bücher.

 Jörg Baden, Laurenz van der Linde und Josef Böhmer (von links) lösen in der Gaesdonck-Bibliothek so manches Rätsel.

Jörg Baden, Laurenz van der Linde und Josef Böhmer (von links) lösen in der Gaesdonck-Bibliothek so manches Rätsel.

Foto: KLAUS-DIETER STADE

Ehrfürchtig ist nur der Besucher. Ehrfürchtig vor dem wirklich nur ganz leicht muffigen Geruch, der in diesem Fall als der Atem der Geschichte locker durchgeht. Ehrfürchtig? Nein, das sind Laurenz van der Linde, Josef Böhmer und Jörg Baden nicht. Das Trio (alles ehemalige Gaesdonck-Studienräte) konzentriert sich auf anderes. Gerade ruft "Custos" Josef Böhmer (also gleichsam der Hüter, Schatzmeister oder auch Aufseher) eine Nummer durch den Raum. Etliche Meter weiter tippt Laurenz van der Linde in sein Notebook. Um sofort aufzuspringen und dem Gast etwas von den vielen Schätzen zu zeigen, die er einfach so anfasst, aufschlägt, durchblättert.

"Schauen sie mal! Synchronoptisch", sagt er begeistert. Gegenüberstellung von Zeitgeschichte in tabellarischer Form, könnte man das nennen. Von 1484. Josef Böhmer grinst und sagt: "Heute würde man so etwas Powerpoint-Präsentation nennen." Weltgeschichte nach dem Stand der Wissenschaft des 15. Jahrhunderts. Hervorragend erhalten, auf samtig-dickem, fast Löschpapier-artigem Büttenpapier. Die drei Männer von der Gaesdonck-Bibliothek haben aber keine Berührungsängste. Ohne Handschuhe fassen sie die Bücher an, blättern. "Trocken müssen die Hände sein, wirklich trocken", sagt Laurenz van der Linde. "Dann ist es besser, sie tragen keine Handschuhe. Denn ,mit' hat man so wenig Gefühl in den Fingern, das schadet den kostbaren alten Büchern am Ende mehr als das Berühren mit der Hand."

Aha. Der Laie traut sich immer noch nicht. Ehrfurcht vor diesen mit höchsten Aufwand und unendlichen Mühen geschriebenen und gedruckten dicken Wälzern, eingebunden zwischen Buchdeckeln aus Holz mit Flickwerk gewordenen Lederbezügen. Josef Böhmer nimmt eine Ausgabe des "Narrenschiffs", des von Dürer bebilderten "Lexikons" der menschlichen Unzulänglichkeiten und Torheiten also, zur Hand. Ein Bestseller war das damals. Die exzellent erhaltene Ausgabe in der Gaesdonck-Bibliothek hätte, würde man sie auf dem Kunstmarkt versteigern, wohl den Gegenwert eines neuen Ferraris. Hergeben würde so einen Schatz allerdings niemand. Die Gaesdonck-Bibliothek — sie ist ein weit über Goch hinaus einzigartiger Schatz, das kulturelle "Gedächtnis" der Region. Denn hier wurde schon geschrieben, gelesen, archiviert, geforscht und wissenschaftlich gearbeitet, als rundherum noch nichts war. Entweder Wald oder gerade mal Landwirtschaft. Lange Regale voller Druck-Werke aus dem 15. Jahrhundert, aus den folgenden sowieso — das bedingt, dass die Bibliothek nicht so ohne weiteres "öffentlich". ist. Was hier kaputtgeht, ist nur unter größtem Aufwand zu restaurieren.

Und: Die drei Detektive haben noch viel zu ermitteln. Da gibt es immer noch viele Bücher, die können bislang keinem Autor, keinem Drucker, keinem Ursprung zugeordnet werden. Bei manchen ist noch nicht mal wirklich sicher, ob sie schon immer Bestandteil der Gaesdonck-Bibliothek waren. Über Jahrhunderte wurde erfasst, geordnet und zugeordnet. Aber nicht bis zum Ende.

Dieses Ende jedoch ist erfreulich nah. Denn mit Hilfe des Computers, der gründliche Einblicke in die Münsteraner Diözesan-Bibliothek möglich macht, haben die drei Ruheständler schon so manches scheinbar unlösbare Rätsel gelöst. Sie sind zuversichtlich, dass sie bis zum kommenden Jahr alles lückenlos geordnet und zugeordnet haben. Um diesen kostbaren Schatz kommenden Generationen weiterzugeben. Da wär so ein Ferrari längst verrostet.

(RP)
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