Goch Aus Lenis Poesiealbum

Goch · Die Erinnerung wachhalten, Neues entdecken, Mitschüler informieren – und zeigen, wie schnell Menschen in größte Not kommen können: Mädchen und Jungen der Leni-Valk-AG an der Gocher Realschule machen das alles möglich.

Beifälliges Nicken, als ein Sechstklässler den zentralen Satz sagt, ganz selbstverständlich, eigentlich: "Wir sind alle Menschen, darauf kommt es doch an, und nicht darauf, welchen Glauben wir haben." Eine Erkenntnis, die manchem Erwachsenen so leicht nicht (mehr) kommen will, mag sein. Für diese Schülerinnen und Schüler der Leni-Valk-AG an der Gocher Realschule ist sie wirklich eine Selbstverständlichkeit. Gemeinsam mit den Lehrerinnen Bärbel Neumann und Bernadette Büllmann haben die Kinder gerade noch mal einen Blick auf die Kopie aus einem alten Posiealbum geschaut. Da schreibt, in Niederländisch, denn sie war schon längst in Leeuwaarden, die achtjährige Leni Valk einer Freundin etwas "zum Leben", in gereimter Form. Dass es ankomme auf Zufriedenheit, steht da. Das Ganze dekoriert mit den üblichen Glanzbildern, mit Liebe verfertigt. Ein Poesiealbum wie jedes andere? Nein. Leni hatte noch zwei Jahre zu leben nach diesem Eintrag. Da wurde sie im KZ Sobibor von Hitlers willigen Helfern ermordet.

Die Geschichte des Mädchens aus Goch, das so gerne in den Kindergarten gegangen wäre, aber nicht durfte, weil es ja jüdischen Glaubens war, ist zeitlos, ist nicht nur "Geschichte". Das Leben des Mädchens, das vermeintlich sicher vor den Nazis war, aber in den Niederlanden aufgegriffen und verschleppt wurde, weitererzählen, erforschen. "Die Kinder wollen die Geschichte weitertragen, damit so etwas nicht noch einmal passieren, das Grauenhafte sich nicht wiederholen kann", sagt Bärbel Neumann. Schulleiterin Ursula Arens ist stolz auf ihre AG. Leni-Valk-Schule – diesen Namen gibt es nur einmal deutschlandweit. Und dass sich eine AG von Schülern freiwillig, in der Freizeit, auch außerhalb von Ganztags-Angeboten wöchentlich mit diesem Projekt befasse, sei nun alles andere als selbstverständlich.

Ernsthaft und klug

So kommen dann ganz von selbst ernsthafte und kluge Gespräche zustande. Über Vorurteile, über Ausgrenzung. Und darüber, wie schrecklich einfach sie funktionieren können. "Die Juden" – das seien doch Deutsche gewesen wie alle anderen auch, im Alltag habe man die Unterschiede im Glauben kaum mehr bemerkt als heute die Unterscheide zwischen Protestanten, Christen, Juden. "Judentum mit einer Nation gleichzusetzen, das ist doch verrückt, das würde doch bedeuteten, dass man auch sagen könnte, alle Katholiken seien Italiener oder Polen", sagt jemand. Und die Kinder schlagen beim RP-Besuch daher vor, das Thema Nationalsozialismus nicht erst in höheren Jahrgangsstufen zu besprechen, sondern auch schon mal in der sechsten Klasse.

Die verbotene Schule

Die Kinder sprechen auch schon übers nächste Projekt. Einen Leni-Valk-Weg soll es geben, kreuz und quer durch die Schule, mit vielen Infos und Bildern. Treppauf-treppab das Leben des Mädchens hier, gerade hier, erfahrbar machen – das hätte mehr als Symbolcharakter. Denn auch in diese Schule hätte Leni, das kleine jüdische Mädchen, nie gehen dürfen.

(RP)
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