Goch / Kreis Kleve Abschied von der Reichswaldkaserne
Goch / Kreis Kleve · Die ehemalige Gocher Kaserne wird derzeit abgerissen. Noch einmal schritt die militärische Führungsmannschaft mit der RP übers Gelände. Viele hundert Soldaten und Zivilisten aus der Umgebung hatten hier bis zum Jahr 2005 gearbeitet.
Er hatte lange genug Zeit, sich darauf vorzubereiten. Schließlich ist "seine" Reichswaldkaserne wie so viele andere in Deutschland seit vielen Jahren eine ehemalige. Als Oberst a.D. Lambert Engelberts jetzt aber sein altes Stabsgebäude als Schutthaufen am Boden liegen sah, musste er doch schlucken. Die Tränen in den Augen hingegen waren fraglos dem scharfen Wind bei eisigen Temperaturen geschuldet — ein alter Soldat hat sich im Griff. Und Engelberts ist vernünftig genug, um es gut zu finden, dass das Gelände einer neuen Nutzung zugeführt wird. Bekanntlich entsteht dort ein neues Gocher Stadtviertel.
Die Abbruchbagger der Firma Moss leisten in diesen Wochen ganze Arbeit. Bäume und Gestrüpp, die nicht bleiben können, sind weg, Stück um Stück fallen nun die Gebäude. Holz, Metall und Steine werden gesondert gesammelt und abtransportiert — "das ist bares Geld", weiß Wolfgang Jansen, Geschäftsführer der Stadtentwicklungsgesellschaft GO!. Engelberts und seine beiden alten Kameraden Heribert Hardebusch (stellvertretender Regimentskommandeur) und Willi Arians (Spieß /Kompaniefeldwebel) haben ihre Augen und Gedanken allerdings auf "rückwärts" eingestellt.
Gleich am Tor geht's los: "Hier im Wachgebäude waren auch fünf Arrestzellen für Disziplinarstrafen untergebracht", erinnert sich Hardenbusch. "Und früher gab es darin noch einen Friseur. Wer mit zu langen Haaren zum Dienst erschien, wurde dorthin geschickt", ergänzt Arians. Das Heizwerk, das die benachbarte Wohnsiedlung versorgte, steht noch, auch die Hütte der Wachhunde ist noch da. Erhalten ist auch das "Sani-Gebäude", auf dessen Krankenstation wohl fast jeder Soldat mal versorgt wurde. Lieber denken Engelberts und seine Kollegen natürlich an ihr Offiziersheim zurück. Dort fanden sich nicht nur die höheren Dienstgrade an der Theke ein — hier wurden auch regelmäßig zivile Gäste empfangen. Zum Beispiel beim Neujahrsempfang, zu den Wintervorträgen, beim Sommerball auf der Terrasse. Alles, was in Politik und Gesellschaft der Region Rang und Namen hat, war dabei.
Ebenfalls noch vorhanden ist die "Bruder-Claus-Kapelle". Von außen so schmucklos wie alle übrigen Gebäude, die die Engländer hier Ende der 50-er Jahre errichten, standen hier doch Altar und Kirchenbänke, wie es sich gehört. Beim Blick durch ein kaputtes Fenster stellt Engelberts fest, dass zumindest das Untergestell des Altars erhalten blieb. In weiter Ferne steht ein steinerner Quader, von dem aus einst Wetterbälle in die niederrheinischen Wolken aufstiegen.
Das Essen, dass die Offiziere in ihrem Kasino serviert bekamen, war das gleiche, das die Mannschaft von der Theke der Truppenküche abholte. Sie ist noch zu erkennen, obgleich es in das abgedeckte Gebäude inzwischen herein regnet. Die Wände zieren noch Gemälde mit Heimatmotiven. Zwischen den Fensteröffnungen prangt das Wappen des Fernmelderegiments: ein Adler, der unerschrocken zwei Jagdfliegern entgegenblickt, die sich vor schwarzem Hintergrund abzeichnen — es war Kalter Krieg.
Sport spielte in der Kaserne immer eine große Rolle. Erst in den 80-er Jahren wurde eine neue Turnhalle errichtet, die auch einige Vereine nutzten, es gab Tennisplätze, eine Squash-Halle, Platz zum Fußballspielen und zum Exerzieren. Gocher erinnern sich an manche feierliche Regimentsübergabe. Die Rekruten, die dort vor lauter Stillstehen gelegentlich wankten, waren kurz zuvor in der Standortverwaltung eingekleidet worden. Auch die ist in Teilen noch vorhanden, obwohl sie schon 2003 aufgelöst wurde. Für ihren Erhalt hatten sich — vergebens — auch hochrangige Politiker aus der Region eingesetzt; es ging immerhin um 140 zivile Arbeitsplätze. Zusätzlich fielen 519 Dienstposten bei der Bundeswehr weg. Ebenso, wie die Grundwehrdienstleistenden möglichst heimatnah eingesetzt wurden, also genauso aus Kevelaer, Kleve oder Geldern stammten wie aus Goch, lebten auch die Zivilen in der Umgebung. Und werden schon in wenigen Wochen ihre Kaserne nicht mehr wiederfinden.