Freie Gesamtschule Facettenreich Sevelen Tiefer Blick in das Seelenleben der Jugend
Sevelen/Geldern · Eine emotionale Werkschau der neunten Klasse der Freien Gesamtschule Facettenreich aus Sevelen. Alle menschlichen Emotionen wurden abgedeckt.
Es war eine Achterbahn der Gefühle. Nichts für Menschen, die seichte Fernsehspiele à la Rosamunde Pilcher mögen. Was die Neuntklässler der Freien Gesamtschule Facettenreich in der Gelderner Aula präsentierten, deckte so ziemlich alle menschlichen Emotionen ab.
Unter dem Titel „Was ist eigentlich morgen?“ präsentierten sie eine Werkschau und zeigten, was sie gemeinsam mit der stellvertretenden Schulleiterin und Lernbegleiterin Tina Liehr und Tanzpädagogen Fran Luis erarbeitet haben. Es gab kurze Spielszenen, Tanzchoreographien und Einspielungen dicht geschriebener Texte zu Themen, die nicht nur Jugendliche berühren. Darin ging es unter anderem um den Wunsch gesehen zu werden. „Ich habe Angst, dich zu enttäuschen. Ich versuche, immer alles richtig zu machen“, hieß es in einem Text.
Die emotional geladenen Zeilen waren anonymisiert, es fielen keine Namen oder Orte, sie wurden nicht von dem Schreiber selbst vorgelesen. Die Zuhörer warfen einen tiefen Blick in das Seelenleben der Jugendlichen, etwa wenn es hieß: „Ein echter Mann weint nicht, ein Indianer kennt keinen Schmerz. Das prägt.“ Oft war es poetisch und traurig zugleich, wenn die Begründung dafür lautet, warum man nachts wach liegt: „Weil ich in meinen Gedanken ertrinke“. Dann wiederum war die Spannung kaum auszuhalten. Etwa bei dem Stück, das mit minimaler Aktion auskam. Ein Krankenbett steht auf der einen Seite der Bühne. Auf der anderen ein Tisch, an dem ein Arzt und eine Krankenschwester Platz genommen haben. „Was ist mit der Schwuchtel von Zimmer 8?“, will der Arzt wissen und holt verbal aus: „Zu meiner Zeit waren die Ehen noch richtig, zwischen Mann und Frau.“ Seine Entscheidung: Mehr Schmerzmittel braucht dieser Patient von Zimmer 8 nicht. Am Bett sitzt dessen Ehemann. Das Publikum lauscht dem Gespräch, dem Umsorgen. Mit gemeinsamen Plänen. „Du wolltest doch immer nach Toronto“ versucht der Ehemann seinen Ehemann ins Leben zurückzulocken, zu trösten. Er spricht ganz leise. Es ist das einzige Stück, bei dem an diesem Abend mit Mikrofon gearbeitet wird. Der Angesprochene wälzt sich im Bett, dass es beim Zuschauen körperlich schmerzt. Mit dem Worten: „Ich kann dich nicht so leiden sehen“ und „Ich liebe dich“ greift der Mann am Bett zum Kissen, beugt sich über das Gesicht des Sterbenden. Das Licht geht aus. Die 14- bis 15-Jährigen tauchen an der Grenze zum Erwachsenwerden in sehr ernste Themen ein, reflektieren ihre Beobachtungen. Und dann gab es an diesem Abend die fröhlichen Musikstücke, die Tänze. Bei „Macarena“ tanzte spontan der ganze Saal mit (großer Dank an das ältere Ehepaar, die Dame im Leopardenpullover, die mit als erste aufsprang und gekonnt die Choreografie mittanzte). Diese fröhlich-ausgelassenen Momente kamen so schnell, dass das Herz kaum mitkam.
Für Tina Janzen und Nina Jansen, die Mentorinnen der Jahrgangsstufe, Tina Liehr und Fran Luis, stand am Abend fest: sie sind stolz auf ihre Schüler. Die sind in dem Prozess und an dem Abend gewachsen. Das Publikum nahm viel Stoff zum Nachdenken mit. Es honorierte den Mut und die Performance mit frenetischem Applaus und Standing Ovations. Und vielleicht ist der Abend eine gute Gelegenheit gewesen, das mal wieder öfter zu sagen: „Ich bin stolz auf dich.“