Geldern Wenn das Internet zu einer Sucht wird

Geldern · Mehr als eine halbe Millionen Menschen in Deutschland gelten als internetsüchtig. Die Diakonie in Geldern berät Betroffene und ihre Angehörigen. Das Jugendamt plant im kommenden Jahr Präventionsveranstaltungen an Schulen.

 Menschen zwischen 14 und 24 Jahren gelten als besonders gefährdet durch Internet und Spieleplattformen.

Menschen zwischen 14 und 24 Jahren gelten als besonders gefährdet durch Internet und Spieleplattformen.

Foto: miserius

Das Internet ist für viele Menschen selbstverständlich geworden. Ob bei der Arbeit oder im Privatleben, die vielseitigen Angebote im Netz erleichtern häufig das tägliche Leben. Doch für einige Menschen in Deutschland wird das Internet immer mehr zu einem Problem — sie gelten als abhängig.

Glaubt man einer Studie, die die Drogenbeauftragte der Bundesregierung, Mechthild Dyckmans, in Auftrag gegeben hat, sind mehr als eine halbe Millionen Menschen in Deutschland zwischen 14 und 65 Jahren internetsüchtig. Fast fünf Prozent in dieser Gruppe gelten als suchtgefährdet. Sie verbringen oft mehr als 20 Stunden pro Woche in Chatrooms, sozialen Netzwerken oder intensiv auf Spieleplattformen. Besonders betroffen seien Jugendliche und junge Erwachsene zwischen 14 und 24 Jahren. Durch Laptops, Smartphones und Tablets können Internetnutzer fast überall und rund um die Uhr online sein.

Wann genau jemand als internetsüchtig gilt, lässt sich jedoch nicht ohne weiteres sagen. "Man muss den Betroffenen länger beobachten, auf bestimmte Anzeichen aus dem Alltag achten", sagt Yevgeniy Steinhauer, Suchtberater der Diakonie Geldern. Erste Vorboten können die Vernachlässigung von anderen Aktivitäten und sozialen Kontakten bis hin zum absoluten Kontrollverlust sein. Auch könnten typische Entzugserscheinungen, wie Nervosität, Angst und Schlaflosigkeit auftreten. Nicht selten würden sich die Abhängigen mit Online-Spielen die Nächte um die Ohren schlagen. "Ich habe sogar schon Fälle erlebt, bei denen Jugendliche zu anderen Drogen und Medikamenten gegriffen haben, um sich länger wachzuhalten. Hier fallen dann zwei Suchterkrankungen zusammen", sagt Steinhauer.

Darunter leiden dann nicht nur Schule, Ausbildung oder Beruf, sondern auch das Familien- und Sozialleben. Yevgeniy Steinhauer berichtet, dass häufig Eltern in die Beratungsstelle kämen. Sie machen sich Sorgen um ihre Kinder: "Leider eskaliert es oft, wenn Mütter ihre Kinder zu uns schicken. In der Regel können wir nur demjenigen helfen, der freiwillig kommt", so der Suchtberater. In verschiedenen Beratungsstunden werde dann versucht, den Betroffenen zu motivieren, seinen Internetkonsum zu reduzieren. In extremen Fällen könne auch eine stationäre Therapie in einer Fachklinik vermittelt werden, so Steinhauer. Allerdings sei die Internetabhängigkeit bislang noch nicht als Verhaltenssucht anerkannt, teilt die Kaufmännische Krankenkasse KKH in einer Erklärung mit. Deshalb gebe es bisher auch nur vereinzelt Kliniken und spezielle Therapien, um die Internetsucht zu behandeln.

Die Gründe für die Internet- und Computerspielesucht lägen oft woanders. Nicht selten würden die Abhängigen auch unter anderen psychischen Erkrankungen wie Depressionen, ADHS oder affektiven Störungen leiden, sagt Karin Abele von der KKH in Kleve: "Sie ziehen sich zurück in die virtuelle Welt, weil sie mit dem realen Leben nicht zurechtkommen. Hier bekommen sie Anerkennung und Bestätigung."

Eine Erfahrung, die auch Suchtberater Yevgeniy Steinhauer macht: "Es gibt eine gewisse Ambivalenz: Die Betroffenen kommen, weil sie Hilfe wollen. Auf der anderen Seite wollen sie das Spielen nicht aufgeben." Die Ratsuchenden hätten häufig die sozialen Folgen erkannt, würden jedoch ungern das positive Erlebnis aufgeben, das sie beim Spielen bekommen: "Es ist ein Teufelskreis." Um es nicht zu einer Sucht kommen zu lassen, bietet die Diakonie Geldern präventive Maßnahmen an. So gibt es Projekttage an Schulen, Beratungsangebote für Lehrer und Elternabende. Auch das Jugendamt von Geldern überlegt, im kommenden Jahr mit einem Präventionsprogramm an die weiterführenden Schulen zu gehen: "Wir befinden uns gerade noch in der Planung", sagt Walburga Bons. Im Fokus stünden Themen wie Cybermobbing, Spielesucht und die Nutzung von sozialen Netzwerken.

(RP)
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