Zweiter Weltkrieg am Niederrhein Zerstörung Gelderns an Aschermittwoch

Geldern · Im Alter von 15 Jahren erlebte Heinz Bosch vom Mühlenturm aus die schweren Luftangriffe auf die Stadt.

 Heinz Bosch zeigte als Stadthistoriker und Zeitzeuge beim Stadtrundgang auf das Relief vom alten Geldern, das am kleinen Markt steht.

Heinz Bosch zeigte als Stadthistoriker und Zeitzeuge beim Stadtrundgang auf das Relief vom alten Geldern, das am kleinen Markt steht.

Foto: Evers, Gottfried (eve)

„Bestes Frühlingswetter bedeutete immer höchste Luftgefahr“, erinnerte sich der pensionierte Gymnasiallehrer für Sport, Erdkunde und Geschichte, Heinz Bosch, an die Zeit des Zweiten Weltkrieges zurück. Vor genau 75 Jahren, Ende Februar 1945, hatte die Stadt Geldern „einen Zerstörungsgrad von 82 Prozent“, heißt es in Erzählungen, informierte der 90-jährige Stadthistoriker und Weltkriegs-Zeitzeuge Bosch am Samstag am Markt-Relief vor der Maria-Magdalena-Kirche. Zweifelsohne lag die Drachenstadt ein halbes Jahr vor dem offiziellen Ende des Zweiten Weltkrieges am 2. September 1945 (Kapitulation Japans) größtenteils in Schutt und Asche. Fünf große Luftangriffe musste die Drachenstadt zwischen 1940 und 1945 über sich ergehen lassen.

Mehr als 50 interessierte Zuhörer, darunter auch einige ehemalige Schüler Boschs, lauschten am Samstagmittag aufmerksam dem historischen Vortrag des lokalen Geschichtsexperten, der gegen Ende des Zweiten Weltkrieges im Alter von 15 Jahren als Luftbeobachter und Melder der Stadt Geldern eine wichtige Aufgabe übernahm. Vom Mühlenturm aus, beobachtete er das Geschehen in und um Geldern herum. Vom obersten Abteil des Mühlenturms agierte er und gab über die letzten Kriegsmonate hinweg vom Mühlenturm aus zig Flieger-Meldungen zu einer Duisburger Zentrale durch. Die Polizei sowie der Bürgermeister waren damals ebenfalls im Mühlenturm untergebracht. Somit war der „Turm der Drachenstadt“ ein zentrales und wichtiges Gebäude zur Zeit des Zweiten Weltkrieges. Die Alliierten haben den Mühlenturm nie als strategisch relevantes Ziel der Stadt Geldern wahrgenommen. „Vom Mühlenturm aus wurde nie geschossen“, betonte Bosch als Grund dafür, warum der Mühlenturm von einem Bombenhagel bis zum Kriegsende weitgehend verschont blieb. Im Mai 1940 bombardierte ein vereinzeltes Flugzeug der Alliierten mit wenigen Sprengbomben den Gelderner Bahnhof. Dies sei ein „Spontan-Angriff“ gewesen, meint Bosch. Der Flieger habe auf einen Rückflug lediglich seine Bomben loswerden wollen und den Gelderner Bahnhof als strategisch wichtige Infrastruktur der Deutschen erkannt.

 Blick vom Harttor auf die zerstörte Hartstraße, direkt nach Ende des Zweiten Weltkrieges.

Blick vom Harttor auf die zerstörte Hartstraße, direkt nach Ende des Zweiten Weltkrieges.

Foto: Illustrierte Geschichte de Stadt Geldern 1848-1969

Im Juni 1940 bis September 1944 gab es keine weiteren Bombenangriffe auf die Drachenstadt. Kleinere Städte wie Geldern waren in dieser Zeit keine relevanten Ziele. Das änderte sich erst im Herbst 1944. Die Alliierten-Truppen stießen zu jener Zeit bis zur Maas vor. Sie bauten Militärflugplätze in den benachbarten Niederlanden, sodass sie jederzeit das Gelderland erreichen konnten.

 Blick von der Hartstraße aus auf die Pfarrkirche St. Maria Magdalena im Jahr 1946.

Blick von der Hartstraße aus auf die Pfarrkirche St. Maria Magdalena im Jahr 1946.

Foto: Theo Slickers

Am 17. September 1944 wurden laut Historiker Bosch zum letzten Mal deutsche Flugzeuge am Gelderländer Himmel gesichtet. Die Alliierten hatten fortan die absolute Luftüberlegenheit am Niederrhein. Die „Jagdbomber“ waren von morgens bis abends in der Luft. Kein deutsches Fahrzeug konnte es tagsüber wagen, auf den Landstraßen zu fahren, andernfalls hätten die Alliierten diese bombardiert. Der notwendige Versorgungsverkehr fand nur noch im Schatten des Mondes, bei Nacht, statt.

Am Nachmittag des 22. Oktobers 1944 konnten die in der Stadt verbliebenen Bürger durch den Fliegeralarm nicht gewarnt werden, da die Stromleitungen bereits zerstört worden waren. Über 30 Menschenleben haben die am Ostwall, Südwall und Geldertor eingeschlagenen Bomben gefordert. Am 3. Dezember 1944 fielen etwa 300 Bomben auf die bereits evakuierte Drachenstadt. Waffenfähige 16 bis 60-jährige Männer des „Volkssturms“ mussten zu dieser Zeit in Geldern verweilen. Erneut kamen bei diesem Angriff über 30 Personen ums Leben. Rund zwei Monate später am 8. Februar 1945 wurde der Gelderner Bahnhof durch einen Artilleriebeschuss vollends zerstört. Im Rahmen des Generalangriffs auf das Deutsche Reich wurden am 14. Februar 1945 tausende Brand- und Sprengbomben auf Geldern geschmissen. Ende Februar 1945 griffen die Amerikaner mit präziser „Maßarbeit“, so Bosch, Gelderns Zentrum an und legten die Stadt damit final in Schutt und Asche.

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