Stadtwerke Geldern Präsentieren Verschwundene Orte (4) Von der Molkerei zur Konservenfabrik

Geldern · Wohnhäuser stehen heute dort, wo früher der Milchumschlagplatz in Walbeck war. Nach der Milch gab's dort mit der Konservenfabrik Obst und Gemüse. 1978 war Ende. Viele Zuschauer erlebten die Sprengung des Schornsteins.

Walbeck Eine Molkerei in Walbeck, da werden viele im Spargeldorf die Stirn runzeln. Die ältere Generation dürfte sich aber zumindest noch an das ehemalige Gebäude erinnern, das zwischen der Maasstraße und dem Flutweg an der Kleinbahnstraße lag.

Im Jahre 1907 wurde mit dem Bau der Molkerei begonnen, die "Molkereigenossenschaft Walbeck" wurde gegründet. Johann Rühl war Mitbegründer und der erste Molkereiverwalter. Er fiel im Januar 1916 im Ersten Weltkrieg. Bereits bei einer Generalversammlung im Jahre 1933 kamen erste Gerüchte einer Schließung der Molkerei durch den Milchwirtschaftsverband auf. Diese wurden von den Mitgliedern der Genossenschaft heftig dementiert, zumal das Milchaufkommen von 771.000 Liter in 1931 auf 935.000 im Jahre 1933 angewachsen war. Im Mai 1934 aber erfolgte die Stilllegung, und im Jahr 1935 wurde die Molkerei vom Konservenunternehmen "Knecht", das Hermann Lindemann führte, übernommen und zur Konservenfabrik umgebaut. Der Kernbau der alten Molkerei blieb erhalten, die Firma "Knecht" erweiterte das Gebäude und baute weitere Lager- und Produktionsstätten hinzu. Schon vor dem Zweiten Weltkrieg lief die Produktion auf vollen Touren. So berichtete die "National Zeitung" am 16. Januar 1938, dass "...200.000 Büchsen in kurzer Zeit produziert werden".

Auch nach dem Krieg lief die Produktion der Firma "Knecht" wieder schnell an. Am 20. Juli 1950 vernichtete ein Großfeuer das Lager mit allen Konservenvorräten. Da bei der Walbecker Feuerwehr die Motorspritze versagte und Ersatz erst aus Holt kam, entstand ein Sachschaden von 60.000 D-Mark, ein Übergreifen der Flammen auf die Produktionsstätten konnte die Walbecker Feuerwehr aber verhindern.

In den 1950er Jahren verließ die Firma "Knecht" den Standort Walbeck, die niederländische Firma "Groko" übernahm am 1. Mai 1960 das Firmengelände und baute es weiter aus. Rund 200 überwiegend weibliche Mitarbeiter waren nun im Saisongeschäft beschäftigt, und Walbecks Spargelbauern hatten Sorgen, nicht genügend Spargelstecherinnen für ihre Felder zu finden.

Eingekocht wurde von Gurken über Erdbeeren oder Himbeeren alles, was die Felder hergaben, die Produkte überwiegend aus dem Nachbarland Holland angeliefert. In der Spargelsaison wurden täglich sieben Tonnen des edlen Gemüse verarbeitet, dafür benötigte die Firma "Groko" alleine 50 Schälerinnen. Noch viele Walbecker können sich heute an die verschiedenen Gerüche erinnern, die aufkamen, wenn auf dem Firmengelände im Dorf so richtig "eingekocht" wurde.

Bis Mitte der 1960er Jahre gab es dann immer wieder Probleme mit der Firma Groko und der damals noch eigenständigen Gemeinde Walbeck. Die großen Mengen von aggressiven Abwässern, die bei der Produktion entstanden, konnte die neue vollbiologische Kläranlage des Spargeldorfes nicht übernehmen. Daraufhin wurde 1966 ein wassersparender und weithin sichtbarer 16 Meter hoher Turm errichtet, durch den in einem damals modernen Sterilisierverfahren bis zu 18.000 Konservendosen pro Stunde gefüllt werden konnten.

Bis zum Jahr 1976 wurden im Spargeldorf am Standort der ehemaligen Molkerei Konserven produziert, dann teilte die Firma "Groko" - die seit 1973 zum amerikanischen ITT-Konzern ("International-Telephon and Telegraph Company") gehörte - mit, sie werde ihre Tore aufgrund der allgemeinen Wirtschaftslage in der deutschen Konservenindustrie, die mit steigenden Importen und damit verbundenen Dumpingpreisen zu kämpfen hatte, im Februar 1976 schließen. Damit verloren rund 50 Menschen, die zum Stammpersonal zählten, ihren Arbeitsplatz. Auch zahlreiche Zulieferer aus der näheren Umgebung waren Leidtragende.

Endgültig aus dem Walbecker Dorfbild verschwand die Molkerei nebst den Betriebsgebäuden der Betreiberfirma im Januar 1978. Der hohe Schornstein, der über 70 Jahre zum Dorfbild gehört hatte, wurde fachgerecht gesprengt. Viele Walbecker waren damals Zeuge dieses Ereignisses, obwohl die Sprengung geheim bleiben sollte. Nach dem Abbruch der restlichen Firmengebäude wurden auf dem weitläufigen Gelände Häuser errichtet, es entstand ein neues Wohngebiet. Heute erinnert nichts mehr an Walbecks Molkerei, außer einem Foto auf einer Postkarte von 1909.

(RP)
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