Interview mit Sterbeamme Nicole Füngerlings Die Trauer und die Feiertage

Geldern · Nicole Füngerlings ist Sterbeamme. Sie kümmert sich um Angehörige nach einem Todesfall, vor allem um Kinder und Jugendliche. Sie gibt Tipps, wie das Fest der Liebe ohne einen geliebten Menschen Sinn haben kann.

 Nicole Füngerlings erklärt, wie Trauernde die Feiertage gut überstehen und gestalten können.

Nicole Füngerlings erklärt, wie Trauernde die Feiertage gut überstehen und gestalten können.

Foto: Evers, Gottfried (eve)

Kann, darf und will man Weihnachten feiern, wenn ein naher Angehöriger oder guter Freund gestorben ist?

NicolE Füngerlings  Durch die Trauer ist mancher zu müde und kraftlos, um zu sagen, ich stelle einen Baum auf. Vielen ist einfach nicht nach Feiern, es fühlt sich falsch an. Es erscheint so sinnlos, zu dekorieren, der Kerzenschein, die schöne Stimmung, die sonst beim Fest war, das ist alles plötzlich nicht mehr spürbar.

Also besser ganz auf Weihnachten verzichten?

Füngerlings Gar nichts zu machen, ist nicht gut. Es ist besser, sich der Situation zu stellen. Denn eines ist sicher, im nächsten Jahr schlägt die Konfrontation, die Feiertage für Trauernde bieten, wieder auf. Da ist dieses Begreifen: Es wird nie wieder so sein.

Was könnte eine Motivation sein, Dinge, die mit Advent und Weihnachten zu tun haben, in Angriff zu nehmen?

Füngerlings Es hat auch mit der Verantwortung gegenüber dem Verstorbenen zu tun. Die Frage ist: Was würde der Verstorbene denn sagen? Weihnachten feiern geht gar nicht? Ich würde den Verstorbenen mit reinnehmen, ihn zum Thema machen.

Wie kann das aussehen? Ein Foto unter den Tannenbaum stellen?

Füngerlings Genau, man kann ihn aber auch mit bei der Weihnachtstafel einplanen oder beim Adventsessen und den Tisch mit für den Verstorbenen eindecken. Der Platz bleibt zwar materiell leer, aber er bekommt trotzdem etwas auf den Teller. Das Essen kann man anschließend auf den Friedhof bringen oder an einen anderen Ort, an dem man sich mit dem Verstorbenen verbunden fühlt.

Muss man dafür nicht Mut haben? Klingt das nicht in den Ohren einiger Leute verrückt?

Füngerlings Wer einen lieben Menschen verloren hat und trauert, der darf sich von Konventionen lösen. Denn wie man es macht, macht man es in den Augen einiger Menschen immer falsch. Wer jemanden verloren hat, dessen Welt ist ohnehin verrückt, im wahrsten Sinne des Wortes. Die Welt ist aus den Fugen geraten, warum nicht auch etwas Verrücktes tun? Gerade bei Kindern und Jugendlichen, die besonders mein Thema in der Betreuung als Sterbeamme sind, brauchen das. Wenn die Mutter oder der Vater mit Mitte 40 sterben, dann ist zu Hause nichts mehr, wie es wahr.

Helfen Rituale?

Füngerlings Das kommt immer auf die Familie an. Manche möchten gar nichts mehr von den alten Traditionen machen, weil es zu schmerzhaft ist, andere versuchen, es wie immer zu gestalten. Wichtig ist, als Familie einen Konsens zu finden.

Beispiele?

Füngerlings Hat die Mama früher immer einen Adventskalender gebastelt, bleibt die bange Frage: Bekommt Papa das alleine hin? Muss er nicht. Man kann gemeinsam etwas schaffen, etwa einen Adventskraft-Beutel mit einem Engel drin, einem schönen Stein, einem Wunsch, wie gemeinsam ins Kino zu gehen. So kommt die Familie wieder zusammen. Das ist wichtig. Ansonsten trauert jeder für sich, wie auf einer Insel.

Wie sollte ich mich als guter Freund verhalten, wenn mir die Worte fehlen und mir ein Besuch eher unangenehm ist?

Füngerlings Nichts zu machen, ist wesentlich schlimmer, dann fühlen sich die Familien noch isolierter. Was hilft, ist ehrlich sein. Ein: ,Ich weiß nicht, was ich Dir schreiben kann und trotzdem ist es mir wichtig` ist besser, als sich nicht zu melden. Oder man kann auch spontan klingeln und fragen: ,Passt es gerade?` und darf es dann aber nicht persönlich nehmen, wenn es nicht passt. Bitte Floskeln weglassen. Ein: ,Es wird schon wieder` hat noch keinem geholfen. Dann lieber ein: ,Alles, was Dir und Deinen Lieben gut tut, wünsche ich Dir.`

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