Fußball "Jeder ist noch mehr gefordert"

Holger Gässler trainiert seit gut einem Jahr den Fußball-Niederrheinligisten SV Straelen. Im Gespräch zieht der 40-Jährige eine Zwischenbilanz, in der auch die Folgen der Akarsu-Trennung eine Rolle spielen.

Herr Gässler, Sie stehen seit etwas mehr als einem Jahr als Trainer beim SV Straelen in der Verantwortung. Das ist ein ganz guter Zeitpunkt, eine Zwischenbilanz hinsichtlich der Entwicklung der ersten Mannschaft zu ziehen. Wie fällt diese aus?

Holger Gässler Man muss eine solche Bilanz in zwei Teile gliedern. Die erste Saison, von November 2009 bis zum Saisonende im Mai 2010, war sehr ordentlich. Wir haben uns während dieser Zeit gut aus dem Abstiegskampf herauskatapultiert und dabei ansprechenden Fußball gezeigt. Mir ist da besonders der April in Erinnerung, wo die Mannschaft sehr viele Spiele bestreiten musste und dabei viele Punkte holte. Dass wir durch die Niederlage im letzten Spiel in Homberg die Chance verpasst haben, die Saison noch um zwei Plätze besser abzuschließen, ist hinterher unwichtig und hat allenfalls noch statistische Bedeutung.

Den ersten Teil Ihrer Tätigkeit in Straelen bewerten Sie also positiv?

Gässler Absolut, der war okay. Die Mannschaft hat hervorragend mitgezogen, und ich denke, dass wir über das Erreichte nicht unzufrieden sein können.

Der zweite Teil beginnt mit den Vorbereitungen auf die neue, jetzt aktuelle Saison.

Gässler Eine Saison, in die wir im Vergleich zum Vorjahr mit anderen Voraussetzungen gestartet sind. Die Mannschaft wurde noch einmal verjüngt. Die Preise wurden weiter gedrückt (lacht) — was, wie ich im Zusammenhang mit dem Rückzug des 1. FC Kleve kürzlich gelesen habe, zur neuen Saison ja wieder gemacht werden soll. Hermann Tecklenburg und mir ist das aber auch wichtig, junge und charakterlich gute Spieler in die Mannschaft einzubauen. Unter den Bedingungen stehen wir auf einem gesunden Mittelfeldplatz.

Man spricht ja in diesem Zusammenhang gerne von einem beruhigenden Tabellenplatz, der aber eine Entwicklung in beide Richtungen offen lässt.

Gässler In der Ruhe kann auch Gefahrenpotenzial liegen. Von daher muss ist als Trainer immer hellwach sein, um im Training zur richtigen Zeit die richtigen Reize zu setzen, damit aus der Ruhe nicht Zufriedenheit wird. Ich bin da natürlich eher einer, der oben angreift, als nach unten zu schauen. Trotzdem habe ich beides im Blick, zumal wir erst 14 Spiele hinter uns haben und nach der Winterpause in nur vier Monaten noch 22 Spiele bestreiten müssen.

Ähnlich stark wurde die Mannschaft zu Beginn diesen Jahres ja auch schon belastet. Helfen einem jetzt die damals gemachten Erfahrungen?

Gässler Sehr viel hängt davon ab, wie man aus der Pause kommt. In der vergangenen Saison hatten wir einen positiven Lauf, der vieles leicht gemacht hat. Das kann natürlich auch anders sein. Entscheidend aber ist die Winter-Vorbereitung. Da wird entschieden, wie viel Saft man für die Wochen zur Verfügung hat, wenn man sieben, acht, ja bis zu neun Spiele innerhalb von vier Wochen vor der Brust hat. Im vergangenen Jahr hat uns die gute Vorbereitung gegenüber anderen Mannschaften einen entscheidenden Vorteil gebracht.

Ist das schwierig, bei den herrschenden Winterverhältnissen die benötigte Kondition aufzubauen?

Gässler Ich bin kein Freund vom Konditionsbolzen im Wald. Im vergangenen Jahr sind wir während der Vorbereitung im Winter vielleicht ein- oder zweimal im Wald gewesen. Ansonsten waren wir nur auf unserem vom Schnee geräumten Ascheplatz. Wenn bei diesen Einheiten die Intensität hoch genug ist und alle ziehen voll mit, kann man alles wunderbar während des Trainingsprozesses machen.

Bei einer jungen Mannschaft wie der in Straelen müssen Sie in Kauf nehmen, dass die Entwicklung nicht so schnell und nicht gradlinig nach oben geht, wie man das gerne hätte?

Gässler Ich sehe das realistisch. Es wird immer Höhen und Tiefen geben — auch ein paar richtig schlechte Spiele wie zuletzt in Hiesfeld. Das muss man akzeptieren. Ich kann das, anderen fällt das schwerer. Ich bleibe aber auch nach gelungenen Spielen auf dem Boden, weil ich selbst dabei noch genügend Ansatzpunkte für Verbesserungsmöglichkeiten sehe, damit wir auch gegen etablierte und ambitionierte Mannschaften in der Liga unser Spiel durchbringen — ich denke an Ratingen, Turu oder auch Uerdingen. Das gelingt uns noch nicht. In diesen Spielen zeigen wir zu viel Respekt und verkaufen uns unter Wert.

Sie pflegen einen fürsorglichen Umgang mit ihren Spielern, wenn wir das einmal so nennen dürfen.

Gässler Ich will die Mannschaft nicht unnötig unter Druck setzen. Das bringt gar nichts. Wenn ein Spiel, so wie das 0:6 in Hiesfeld, aus dem Ruder läuft, braucht man nicht mehr hinein zu schreien. Das ist eben verkorkst. Meine Aufgabe setzt danach wieder an, damit es zukünftig solche Spiele nicht mehr gibt.

Kann man danach im Training so weitermachen wie bisher?

Gässler Uns hat ausgezeichnet, dass wir nach Niederlagen nicht alles umgeschmissen haben. In der vergangenen Rückserie gab es eine ähnliche Situation, als wir gegen Fischeln und West zwei schlechte Spiele gemacht und uns einige schon als Absteiger gesehen hatten. Wir aber wussten, dass das nicht passieren wird. Denn die Vorbereitung im Winter war super, alle hatten super mitgemacht, super trainiert — das konnte letzten Endes nur zum Erfolg führen.

So selbstbewusst kann aber nur jemand sein, dessen Arbeit auf einer fundierten Grundlage steht. Sie haben den Fußball-Lehrer gemacht, die höchste Stufe innerhalb der Ausbildungsordnung des Deutschen Fußballbundes (DFB). Was nimmt man aus so einem Lehrgang mit?

Gässler Enorm interessant waren die Gespräche untereinander — mit Bundesliga-Trainern und Nationalspielern, von denen man erfährt, wie das ganz oben abläuft. Diese Informationen habe ich aufgesaugt und gespeichert. Daneben waren besonders interessant und außerordentlich spannend die Einblicke in die psychologischen Zusammenhänge, die vielleicht nicht in der 6. Liga zum Tragen kommen. Aber je höher man kommt und je größer die Erwartungshaltung auf den Sportler wird, desto mehr kann die Leistung durch die Psychologie beeinflusst werden.

Psychologie werden Sie derzeit auch in Straelen benötigen, damit die Mannschaft nach der Trennung von Samet Akarsu (RP berichtete), ihrem erfolgreichsten Torschützen, nicht einknickt?

Gässler Ich habe der Mannschaft gesagt, dass sie jetzt noch stärker zusammenrücken und zeigen muss, dass wir ohne Neuverpflichtungen trotzdem unsere Ziele erreichen können. Da ist dann jeder zu fünf Prozent mehr gefordert.

Damit kann aber auch Druck entstehen — insbesondere bei jungen Spielern wie Sebastian Kaczmarek.

Gässler Sebastian muss den Ausfall unseres bisherigen Top-Torschützen nicht alleine kompensieren. Es gibt da noch ein paar andere Ideen in meinem Kopf. Wobei ich aber mutig genug bin, einem Spieler wie Sebastian Vertrauen entgegen zu bringen. Der wird jetzt nicht 22 Spiele auf höchstem Niveau bestreiten, aber seine fünf, sechs guten Spiele wird der mit Sicherheit machen. Und in den restlichen müssen die anderen helfen.

Von einem Sturmproblem wollen Sie also nicht sprechen?

Gässler Es wird schwerer, und die Wahrscheinlichkeit, dass wir in den Monaten mit hoher Spielintensität und der einen oder anderen dazukommenden Verletzung Probleme bekommen könnten, ist größer geworden.

Sind Sie in dem Zusammenhang froh, schon so viele Punkte zu haben?

Gässler Ich würde mir auch keine Sorgen machen, wenn es weniger wären.

Das sollen wir glauben?

Gässler Ich vertraue der Mannschaft. Sie hat in vielen Spielen eine gute Qualität gezeigt — wenn ich an die Begegnungen gegen Wülfrath und Rhede insbesondere denke. Man hat gesehen, was die Jungs können.

Das Gespräch führten Stefanie Sandmeier und Reinhard Pösel.

(RP)
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