Katrin Bosch "Fairness ist mehr als Schokolade abgeben"

Geldern · Karin Bosch ist mit einem Fragebogen an die einzelnen Sportvereine in Geldern herangetreten, um mehr über Fairness im Jugendsport zu erfahren. Durch die Beantwortung der Fragen soll das Thema wieder mehr ins Bewusstsein gerückt werden. Über die ersten Ergebnisse und ihre Bewertung berichtet sie im Interview.

Wie kam es zur Idee, einen Fragebogen zum Thema Fairness an die Gelderner Sportvereine zu verschicken?

Bosch Ich schaue mir regelmäßig Jugendspiele an und war viele Jahre selbst Trainerin beim VC Eintracht Geldern und Vereinsvorsitzende. Von daher war mir das Thema immer schon wichtig. Wenn beim Gelände des GSV Geldern steht, dass Eltern nur noch auf der Laufbahn stehen dürfen, weil sie Kinder beschimpft haben, macht mich das sehr nachdenklich. Außerdem weiß ich um die Schwierigkeiten bei Lehrern und Trainern.

Welche Schwierigkeiten sind das?

Bosch Trainer beklagen sich darüber, wie schwierig es heute ist, sich durchzusetzen. Die allgemeine Unruhe bei den Kindern und Jugendlichen ist sehr stark. Sie sind oft so sehr mit sich selbst beschäftigt, treten einander, anstatt zuzuhören. Wenn die Kinder nicht zuhören und unkonzentriert sind, schafft die Gruppe nicht so viel. Außerdem ist es schwierig, in solchen Gruppen ein Gemeinschaftsgefühl aufzubauen.

An wen richtet sich der Fragebogen?

Bosch Angesprochen sind Kinder und Jugendliche der Gelderner Sportvereine und auch die Pfadfinder im Alter von zehn bis 18 Jahren, gerne auch bis 21 Jahre, also hoch bis zur A-Jugend. Die Kinder sind noch nie so zu dem Thema befragt worden. Denn es ist ein Unterschied, ob Erwachsene ihnen sagen: Bleibt fair, oder sie sich selber darüber Gedanken machen.

Warum war es Ihnen wichtig, dass die Kinder ihre Antworten ausformulieren? Sie hätten auch Multiple-Choice-Fragen stellen können.

Bosch Mir kam es auf die persönlichen Nuancen der Antworten an, die man bei Multiple Choice nicht mitbekommt.

Gibt es schon erste Erkenntnisse?

Bosch Ja, die ersten Fragebögen sind schon zurück. Es ist erstaunlich, zu welchen Ergebnissen das führt. Viele Kinder haben unfaire Behandlung schon selber erlebt. Viele beklagen, dass sie von der Gemeinschaft schon ausgestoßen wurden oder berichten von anderen, die zum Beispiel gehänselt wurden, weil sie dick sind. Sie erzählen von ganz persönlichen Erlebnissen.

Zum Beispiel?

Bosch Das ist sehr sportartbezogen. Da schreibt zum Beispiel ein kleiner Fußballer, dass ein anderer in ihn mehrmals von hinten hereingegrätscht ist, ohne sich zu entschuldigen. Ein Zwölfjähriger beklagt sich darüber, dass so viele während des Spiels schreien, Trainer und Eltern, das würde nerven. Gemeinsam ist allen die Sehnsucht, dass alles in Ordnung sein soll. Die Idee der Fairness ist in den Köpfen vorhanden, aber sie muss auch umgesetzt werden.

Was bedeutet faires Handeln?

Bosch Das Wort taucht überall auf, aktuell beim Abhörskandal der USA, wenn vom fairen Partner Amerika die Rede ist. Bei den Kindern geht es vor allem um die soziale Komponente. Einer schrieb im Fragebogen: "Fairness ist mehr, als dass ich etwas von meiner Schokolade abgebe." Ein Mädchen schrieb, dass sie mit ihrer Mannschaft schon Großes erlebt habe, weil jeder jeden mitzieht und den anderen mit starkmacht, statt ihn fallenzulassen. Diese sozialen Komponenten sind zudem wichtig für das spätere Leben, auch das Berufsleben.

Wie ließe sich das Erkannte in der Praxis umsetzen?

Bosch In jeder Sportart gibt es kritische Situationen, in denen man sich für oder gegen die Fairness entscheiden kann. Beim Mannschaftssport ist es zum Beispiel beim Thema Einwechseln. Muss immer der beste Spieler eingewechselt werden? Müssen Kindern beim Fußball taktische Fouls beigebracht werden? Sollte beim Volleyball ein Tusch zugegeben werden? Die Antworten aus den Fragebögen zeigen, dass den Kindern und Jugendlichen Fairness schon wichtig ist, sie aber nicht immer wissen, wie sie danach handeln können.

Wie werden die Antworten weiterverarbeitet?

Bosch Ich möchte ein Faltblatt für Kinder und Jugendliche erstellen, dessen Inhalt auf den Ergebnissen der Umfrage beruht. Außerdem bereite ich einen Vortrag vor. Wenn möglich, möchte ich gerne sogenannte Fairnesstrainer ausbilden lassen. Das sollten bestenfalls Jugendliche im Alter von 14 bis 17 Jahren aus den verschiedenen Vereinen sein. Die Jugendlichen können aber auch gerne selber Ideen umsetzen, zum Beispiel in dem sie einen Nachmittag zum Thema Fairness veranstalten.

Wie ist die Resonanz bisher?

Bosch Es können sich noch ganz viele melden. Ich bringe die Bögen auch gerne persönlich vorbei. Telefonisch bin ich unter 02831 3843 zu erreichen. Wir sind erst am Anfang. Bisher haben sich der SV Grün-Weiß Vernum, die Pfadfinder, die Volleyballer vom VC Eintracht Geldern und die Tischtennisabteilung des TTC Geldern/Veert und der Golfclub Schloss Haag beteiligt. Die Bögen vom TV Geldern und GSV Geldern sind noch in Arbeit. Bis Ende November soll die ganze Aktion abgeschlossen sein.

DAS INTERVIEW FÜHRTE BIANCA MOKWA.

(bimo)
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