Geldern Sammler übergibt historischen Schatz

Geldern · Heinrich Kempkes hat eine der deutschlandweit größten Sammlungen von Briefen Kriegsgefangener zusammengetragen. Jetzt übergibt er die Unterlagen von einmaligem historischem Wert ans Kreisarchiv.

 Heinrich Kempkes übergab die gesammelten Briefe an das Kreisarchiv. Landrat Wolfgang Spreen nahm die Sammlung persönlich entgegen.

Heinrich Kempkes übergab die gesammelten Briefe an das Kreisarchiv. Landrat Wolfgang Spreen nahm die Sammlung persönlich entgegen.

Foto: gerhard seybert

kleve Es sind kurze Texte auf vergilbtem Papier, die in ein paar Zeilen eine ganze Gefühlswelt verraten wollen. Im Mai 1948 schreibt Fritz Brocke aus der russischen Kriegsgefangenschaft an sein "Liebes Ilsgen". Er sei gesund, aber schwach, habe seinen Tabak gegen Mehl eingetauscht, zu seinem Geburtstag sei er satt geworden. Elfriede Kleppsch aus Freiberg sendet im gleichen Jahr "innige Küsse" an den Kriegsgefangenen Heinz Kaerger. "Ich glaube, so lange wie wir auf unser Glück warten müssen, muss niemand warten", hadert sie mit dem Schicksal. "Manchmal frag' ich mich, ob wir denn schlechter sind als andere? Schließlich sind wir doch auch noch jung."

Heinrich Kempkes aus Winnekendonk, leidenschaftlicher Sammler historischer Zeugnisse, hat Hunderte solcher Dokumente zusammengetragen und in vorbildliche Ordnung gebracht. Herzstück sind die Kriegsgefangenenpost deutscher Soldaten aus Russland - allein sie füllen rund 70 dicke Aktenordner. Hinzu kommen Zeugnisse zu Themenbereichen wie Hitlerjugend, Winterhilfswerk oder Lebensmittelkarten; insgesamt hat Kempkes etwa 100 Ordner zu Hause. Nach und nach übergibt der 85-jährige sein Material jetzt dem Kreisarchiv.

Er macht der Öffentlichkeit damit ein Geschenk von enormer Bedeutung, sagt Kreisarchivarin Dr. Beate Sturm. "Der historische Wert ist immens groß. Es gibt kaum so große Sammlungen in Deutschland", stellt sie fest. Und diese Quellen berichten von einer Zeit und von Vorgängen, über die es relativ wenig amtliche Hinterlassenschaften gebe.

Ganz unmittelbar und authentisch erzählen die Briefe und Karten aus Deutschland von Mangel und Tauschhandel, Glück, Unglück und Sehnsucht. Die Post aus Russland wiederum gewährt Einblick in den Alltag der Arbeitslager. Und manche überbringen Todesnachrichten, andere Überlebensnachrichten, sie lassen Schicksale nachvollziehen. "Das sind die Sachen, die mich persönlich packen", erklärt Kempkes seine Leidenschaft für die Thematik.

Nach und nach werden die Dokumente jetzt in den Räumen des Kreisarchivs in Geldern fachgerecht erfasst und dauerhaft eingelagert. Elementare Daten - wer wann aus welchem Lager geschrieben hat und was in groben Zügen Inhalt des Schreibens ist - wird in eine Datenbank eingepflegt, "so dass man im Internet recherchieren kann oder auch hier vor Ort", erläurert Beate Sturm. Profis wie Laien, Historiker, Heimat- oder Familienforscher können dann mit dem Material arbeiten, kommen sie aus der Region oder aus der Ferne: "Wir haben viele Nutzer, die aus der ganzen Welt zu uns finden", stellt Sturm fest.

Derweil ist Heinrich Kempkes' Arbeit nicht etwa abgeschlossen: "Die geht nie zu Ende", sagt er selbst. Er sammelt und archiviert weiter und ergänzt laufend Material, das ebenfalls im Kreisarchiv landen wird. Landrat Wolfgang Spreen dankte ihm gestern für seine Spende: "Sie sind wirklich ein Glücksfall für uns", sagte er. Kemkes' Sammlung sei "ein ganz wichtiges Stück Zeitgeschichte".

(RP)
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