Geldern Ohne Folterverbot droht Faschismus

Geldern · In der Aula der Liebfrauenschule diskutierten Experten gestern über das Thema "Schuld, Strafe, zweite Chance". Darunter war NRW-Justizminister Thomas Kutschaty. Sie mussten sich vielen kritischen Fragen der Schüler stellen.

 Diskutierten mit den Schülern: Dr. Jack Kreutz (Leiter der Forensik Bedburg-Hau, l.), NRW-Justizminister Thomas Kutschaty (2.v.l.), Ludgera Hoppmann (Kriminalhauptkommissarin, Mitglied der Soko Mirco, 2.v.r.) und Frank Ottofrickenstein (Sprecher der Gefängnisseelsorger in der Diözese Münster, r.).

Diskutierten mit den Schülern: Dr. Jack Kreutz (Leiter der Forensik Bedburg-Hau, l.), NRW-Justizminister Thomas Kutschaty (2.v.l.), Ludgera Hoppmann (Kriminalhauptkommissarin, Mitglied der Soko Mirco, 2.v.r.) und Frank Ottofrickenstein (Sprecher der Gefängnisseelsorger in der Diözese Münster, r.).

Foto: Gerhard Seybert

Zum Teil harte Urteile waren von den Liebfrauenschülern bei einer Umfrage in Geldern gesammelt worden. Dass ein Mörder kein Recht mehr habe, zu leben, ließ da zum Beispiel ein Passant verlauten. Andere gaben zu bedenken, dass auch ein Straftäter eine zweite Chance bekommen müsse. Der kurze Film war Bestandteil einer Diskussionsveranstaltung in der Aula der Liebfrauenschule. Dort ging es gestern gut anderthalb Stunden lang um das Thema "Schuld, Strafe, zweite Chance". Dabei sahen sich die vier Experten auf dem Podium zum Teil kritischen Fragen der Schüler gegenüber.

Mit Hilfe mehrerer schlagzeilenträchtiger Ereignisse beleuchteten die Veranstalter einzelne Probleme. Beim Fall Magnus Gäfgen, der einen Bankiers-Sohn tötete, ging es um die Frage, ob die Polizei einem Verdächtigen Folter androhen dürfe. Da waren sich die Fachleute einig. "In einem demokratischen Rechtsstaat rechtfertigt nichts die Androhung von Folter.

Die Aufhebung des Folterverbots öffnet das Tor für den Faschismus", stellte Dr. Jack Kreutz klar. Die anderen drei Podiumsteilnehmer bekräftigten diesen Standpunkt. Allerdings räumte Kriminalhauptkommissarin Ludgera Hoppmann ein, dass die Folterandrohung gegen Gäfgen "bei uns in der Polizei heftig diskutiert" worden sei.

Einwürfen der Jugendlichen, wonach sich manches Strafmaß für unterschiedlich schwere Taten unangemessen ausnähmen, begegnete NRW-Justizminister Thomas Kutschaty. "Unser Rechtssystem ist angemessen. Die Urteile unterliegen dem Ermessensbereich der Richter." Medienberichte griffen einzelne von hunderttausenden Urteilen pro Jahr heraus. Es gelte, den Einzelfall zu betrachten.

Der Minister nahm auch Stellung zu der Kritik, die Strafgefangenen kosteten viel Geld. "Jeder Steuerzahler in NRW zahlt 111,50 Euro pro Häftling und Hafttag", teilte Kutschaty mit. Doch es gebe keine Alternative. "Vollzug ist kein Hotel", wandte er sich gegen die Einschätzung eines angenehmen Lebens hinter Gittern. Und dass es in der Forensik angenehmer sei als im Gefängnis und der Aufenthalt dort von kurzer Dauer, bestritt Kreutz.

"Die Täter kommen erst raus, wenn sie nach menschlichem Ermessen keine Gefahr mehr darstellen." Dabei handele es sich in der Regel um Jahrzehnte. Und ein gut behandelter Täter sei der beste Opferschutz. In der Forensik gebe es mehr Behandlungsmöglichkeiten als im Strafvollzug, ergänzte Pfarrer Frank Ottofrickenstein. Als "berührend" charakterisierte er, wie die Insassen sich Geistlichen anvertrauten.

Selbstjustiz wie im Fall Marianne Bachmeier, die den mutmaßlichen Mörder ihrer Tochter erschoss, lehnten die Fachleute ebenfalls ab. "Die Opfer haben immer lebenslänglich. Aber Rache ist keine Lösung", betonte Ludgera Hoppmann.

"Wünsch Dir was" war die Schlussrunde überschrieben. "Differenziert hinsehen, weg vom Gut-Böse-Schema", forderte Ottofrickenstein. "Die Polizei gut und einwandfrei unterstützen", sagte Hoppmann. Eine "realistischere, nüchterne Gefahreneinschätzung von Medien, Politik und Gesellschaft" ist aus Sicht Kutschatys nötig. Und Kreutz fände es gut, wenn die Politik nicht mehr hysterisch Gesetze aus der Hüfte schösse. Jeder kann Opfer werden — aber auch Täter, hieß es am Ende. Mit dieser Sichtweise, so Kreutz, komme es vielleicht zu mehr Mitmenschlichkeit mit den Tätern.

(RP/rl)
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