Blasmusik in Nieukerk Ein gewaltiger musikalischer Kosmos
Nieukerk · Das Symphonische Blasorchester Niederrhein gab zwei Neujahrskonzerte im Adlersaal Nieukerk. Sie trugen den Titel „Zwischen Himmel und Hölle“. Das Publikum konnte nicht genug bekommen.
Das Ding schien fehl am Platze. Es stand im Adlersaal vor der Bühne, auf der gleich das Symphonische Blasorchester Niederrhein, ein Orchester des Musikvereins „Eintracht“ Nieukerk, das zweite seiner beiden Neujahrskonzerte geben sollte. Und warf jede Menge Fragen auf. Mit einem Musikinstrument hatte diese Konstruktion aus grauen PVC-Rohren, die sich in einem Holzgestell aneinanderreihten, nichts zu tun. Eher mit der Sanitärabteilung eines Baumarkts.
Des Rätsels Lösung gab es zu Beginn der zweiten Konzerthälfte. Mit zwei Plastikschlägern, die aussahen wie überdimensionierte und verstärkte Fliegenklatschen, hatte ein junger Mann der Konstruktion eine Melodie entlockt, dezent begleitet von Klavier, Bass und Schlagzeug. Jona Ophey heißt der Musiker, 18 Jahre jung und Erbauer dieses skurrilen Tonerzeugers. „Das ist ein Slapophon“, klärte Moderator Thomas Hoffmann das Publikum auf.
Das Stück auf diesem 40 Meter langen Rohrgeflecht war der eigenartigste Höhepunkt beim Neujahrskonzert des Symphonischen Blasorchesters Niederrhein. Aber beileibe nicht der einzige. Der Andrang war enorm. Sowohl am Samstagabend als auch am Sonntagnachmittag mussten zusätzliche Bänke dazugestellt werden. Und das Musikerlebnis war mitreißend. Unter der Leitung von Philipp Niersmans erschlossen die 53 Musikerinnen und Musiker einen gewaltig klingenden Kosmos.
Dass der Niederrhein im Orchesternamen seine Berechtigung hat, machte Doris Keuck, die Vorsitzende des Musikvereins Nieukerk, in der Einleitung deutlich. Nur eine Handvoll hinter den Notenpulten kommt aus Nieukerk selbst. Die meisten nehmen für die wöchentlichen Proben eine 30 Kilometer lange Anfahrt auf sich. Die Ensemblemitglieder kommen aus den Kreisen Kleve, Wesel und Viersen.
Niersmans hat sie auf ein Niveau gehievt, das in der Region wohl seinesgleichen sucht. Mit einem Paukenschlag wurde das Programm mit dem Titel „Zwischen Himmel und Hölle“ eröffnet. Er leitete die monumentale dreisätzige Suite „Lexicon of the Gods“ von Rossano Galante ein. Bis auf den lyrischen Beginn des zweiten Satzes gab es kaum Ruhepunkte. Höchste Konzentration war in allen Registern gefordert. Zwischen heroischem Marsch, Renaissance-Zitaten und Wald-Idylle pendelte „Devil‘s Tower“ von Thomas Doss. „Ein Teufelswerk für Blasorchester“, so Moderator Hoffmann, war der „Danse Diabolique“ von Joseph Hellmesberger junior, wo das virtuos hüpfende Flötenthema durch das ganze Orchester wanderte.
Wie sehr das Symphonische Blasorchester Niederrhein auf die Jugend setzen kann, bewies nicht nur Slapophon-Erfinder Ophey. Frederik Abel (19), der beim Neujahrskonzert vor drei Jahren mit einem fulminanten Xylophon-Solo für einen Glanzpunkt gesorgt hatte, ist der Komponist von „Ghostlight“, wo er den irischen Mythos über Irrlichter, die den Wanderer zu Dämonen und zum Kampf führen, vertont hatte. Mit diesem Stück bewarb er sich erfolgreich um einen Platz an der Universität für Musik und Darstellende Kunst in Wien für das Fach Komposition. Im Adlersaal wurde er umjubelt.
Etwas später nahm Abel erneut Ovationen entgegen, diesmal an der Seite von Julius Henri Fischer (18), Multi-Instrumentalist wie Abel. Gemeinsam hatten sie „Two Steps from Hell“ arrangiert, eine Ansammlung von Trailern und Einzugssequenzen, wie sie unter anderem von Fußball- und Eishockeyteams verwendet werden.
Deutlich mehr in Richtung Pop ging es gegen Ende des Konzerts mit dem Soundtrack aus dem Film „Guardians of the Galaxy“ und Fragmenten aus einigen Pop-Songs und einer weiteren Film-Musik, diesmal zum Disney-Streifen „Hercules“.
Nach den vielen wohltönend präsentieretn Göttern, Helden, Teufeln und Dämonen hatte das Publikum lange nicht genug. Es erklatschte sich zwei Zugaben. Mit dem „Graf-Zeppelin-Marsch“ beschritt das Orchester den eher traditionellen Blasmusik-Pfad. Nur um ganz am Ende beim Hard-Rock zu landen. „Highway to Hell“ von AC/DC gab es mit Soli von Trompete und elektrischer Gitarre (Gastmusiker Heribert van Düren). Auch selten bis nie gehört.