Konzert in Issum Das Leben ist bunter als gedacht

Issum · Sängerin Judy Bailey präsentierte mit ihrem Mann Patrick Depuhl Lieder und Geschichten, die berührten und nachdenklich stimmten. Es ging um Alltagsrassismus und die Sehnsucht nach Frieden. Am Ende gab es Standing Ovations.

Judy Bailey und Patrick Depuhl begeisterten mit einem musikalisch-literarischen Abend in der evangelischen Kirche Issum.

Foto: Bianca Mokwa

Es war einer dieser Abende, die wie Zartbitterschokolade sind. Die Geschichten und Lieder von Judy Bailey und ihrem Mann Patrick Depuhl waren sowohl bitter als auch süß. Die Stimmung und den Geschmack kann man nicht auf Knopfdruck selbst machen. Es muss alles passen. Das Ambiente, das Publikum und die Künstler.

Beim Abend in der evangelischen Kirche in Issum passte alles. Bereits zu Beginn des Konzerts gab die Sängerin die folgende Anweisung mit einem Augenzwinkern: „Es ist alles erlaubt. Nur nicht einschlafen.“ Als mögliche Reaktionen auf die Texte und Melodien nannte sie hingegen: „Lachen, klatschen, wer weiß, vielleicht fließt auch mal eine Träne.“ Es wurde ein Abend, an dem ausgelassen auf der Bühne gefeiert wurde (sitzenbleiben war nicht, es wurden auch freiwillige Percussion-Musiker nach vorne geholt). Es gab aber auch Momente der Stille und Bedrücktheit als Judy Bailey, die auf Barbados aufgewachsen ist, von persönlichen Erfahrungen mit Alltagsrassismus erzählte. Wenn Menschen bewusst langsam sprechen, weil sie denken, dass Menschen mit dunkler Hautfarbe kein oder schlecht Deutsch können, wenn das farbige Kind das einzige ist, das im Zug kontrolliert wird. Ihr Mann stellte die Frage: „Bin ich eigentlich frei von diesem Rassismus? Leider nicht. Aber ich versuche zu lernen und falsches Denken zu entlernen.“

Barbados, dort liegen die Wurzeln von Judy Bailey, wurde erst 1966 unabhängig. Vorher war es britische Kolonie. Lange her? Noch 2021 sagte der damalige deutsche Entwicklungsminister Gerd Müller: „Es sind 50 Sklaven pro Kopf, die für unseren Wohlstand arbeiten.“ Patrick Depuhl nennt das Zitat an diesem Abend. 2021 ist nicht lange her. Müller dachte dabei unter anderem an die Kinder, die auf Kaffee- und Kakaoplantagen arbeiten.

Rassismus. Immanuel Kant, der die weiße Rasse für seine Vollkommenheit pries, wurde zitiert. Die Auswüchse in Nazi-Deutschland mit den Mütterheimen von Himmler, in denen uneheliche deutsche Kinder geboren werden konnten, wurden thematisiert. Nicht unerwähnt blieb, dass einige Kinder „aussortiert“ wurden, etwa die mit einer Behinderung. „Was bitteschön soll unwertes Leben sein?“, stellt Judy Bailey als rhetorische Frage in den Raum. Daran schloss sich das Lied an, in dem es darum geht, dass Menschen einen Wert haben, jeder Mensch.

Das sei es, was die Menschen eint. Der Wunsch nach einem Zuhause. „Was wir mehr denn je brauchen, ist: Frieden, Frieden, Frieden“, ist sich das Ehepaar einig.

Die Ereignisse von Solingen sind Thema an diesem Abend in der Kirche. Die Messerattacke, bei der drei Menschen auf einem Stadtfest starben, mehrere verletzt wurden und der Täter ein Ausländer ist. „Das ist nicht die Zeit zum Hetzen, sondern die Zeit zum Trauern. Das machen Christen und Muslime gemeinsam. Es ist kein: Die gegen uns“, warnt Judy Bailey vor falschem Schwarz-Weiß-Denken. So heißt auch ihr Programm: „Das Leben ist nicht schwarz-weiß“. Am Ende des Abends nach vielen Liedern und tiefgehenden, auch sehr persönlichen, Geschichten, gab es Standing Ovations. Es war einer dieser Abende, der nachhallt. Positiv. Und zum Nachdenken anregt.