Geldern Integra-Prozess: Diakonie-Leiter belastet Angeklagten

Geldern · Im Prozess gegen den ehemaligen Integra-Geschäftsführer Rainer Hanssen schilderte gestern vor dem Landgericht Kleve ein Zeuge, wie sich das wirtschaftliche Desaster um die Wiedereingliederungs-Werkstätten aus der Sicht der ehemaligen Trägergesellschaft darstellte.

Hans van Nunen (63), seit 1991 Geschäftsführer der Diakonie, berichtete, dass das Geschäft der Werkstätten mit der Umsetzung der Hartz-IV-Gesetze auf Kreisebene sehr stark gewachsen sei. "Da ist die Teilnehmerzahl plötzlich exorbitant gestiegen, von 150 auf zuletzt 500 Menschen", so van Nunen.

Die Folge: Das wirtschaftliche Risiko wurde größer. In den Jahren vor Hartz IV sei die Integra mit einem jährlichen Zuschuss von rund 50 000 Euro ausgekommen. Man habe einen guten Ruf gehabt, und die Vermittlungszahlen in den ersten Arbeitsmarkt seien gut gewesen.

Das rasante Wachstum ab 2003 überforderte dann offenbar die Verantwortlichen. Van Nunen: "Die Ergebnisse machten Sorgen, es gab Wertberichtigungen in Höhe von 350 000 Euro. Das waren Forderungen, die wir nicht mehr realisieren konnten." Unter anderem deshalb, weil die Integra sogar Geschäftsbeziehungen bis in die Vereinigten Staaten unterhielt — und durch die Insolvenz eines US-Kunden auf offenen Rechnungen sitzen blieb.

Im November 2007 wurde in der Runde der Gesellschafter erstmals das Thema angesprochen, welches den Kern des Prozesses in Kleve bildet: die Geschäftsbeziehungen der Integra zum Kaufmann Jörg K. aus Gelsenkirchen, der in Geldern Restauranteinrichtungen bestellte und zeitweise für 70 Prozent des Integra-Umsatzes verantwortlich war. Die Anklage behauptet, dass diese Produkte unter Wert verkauft wurden und dass darüber hinaus beispielsweise Schreibtische geliefert wurden, die gar nicht erst berechnet wurden. Darin sieht sie im Falle des ehemaligen Integra-Geschäftsführers den Tatbestand der Untreue, bei seinem Geschäftspartner den der Beihilfe dazu.

In der Besprechung kam zutage, dass K. Rechnungen in Höhe von 53 000 Euro noch nicht bezahlt hatte. Aufgrund seines merkwürdigen Zahlungsverhaltens fiel sogar das böse Wort "Schneeballsystem".

Ein Verdacht war also da, gleichwohl lief das Geschäft mit dem Mann aus Gelsenkirchen noch weit bis ins Jahr 2008 weiter. Dann stellte sich Ende Oktober 2008 heraus, dass die offenen Posten auf mittlerweile 211 000 Euro angewachsen waren. Dass Hanssen sein Privathaus von der Integra aufhübschen ließ, wurde den Trägern ebenfalls erst im Herbst des Jahres 2008 offenbar — als in einer Übersicht der offenen Rechnungen der Name des Geschäftsführers auftauchte. Darauf angesprochen sagte er, es habe sich um Materialbeschaffung für sein Haus gehandelt, und die Summe von 13 000 Euro sei längst beglichen.

In diesen Tagen schossen auch die Gerüchte über mögliches Fehlverhalten im Unternehmen ins Kraut. Van Nunen berichtete, es sei sogar erzählt worden, dass Hanssen an der Firma seines Geschäftspartners beteiligt gewesen sei. Diesen Vorwurf konnte der Angeklagte gestern vor Gericht entkräften. K. und er seien lediglich gemeinsam Minderheitsgesellschafter einer Minigolfbahn in Duisburg gewesen. Der Prozess wird am 28. Mai fortgesetzt.

(dau)
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