Praxisbesuch bei der Rheurdter Ärztin Dr. Katrin Hesters Wenn Hausbesuche zu teuer werden: Der Alltag von Ärzten

Rheurdt · Mit einem Bein in der Stadt, mit dem anderen auf dem Land: Um hier als Ärztin zu überleben, braucht Dr. Katrin Hesters einen Zweit-Job.

 Ohne Zweitjob geht es nicht: Dr. Katrin Hesters in ihrer Rheurdter Praxis.

Ohne Zweitjob geht es nicht: Dr. Katrin Hesters in ihrer Rheurdter Praxis.

Foto: Christoph Reichwein (crei)

Im Zweifel für Hippokrates. Natürlich wird in der hellen, voll digitalisierten Gemeinschaftspraxis in der Wallstraße niemand weggeschickt, der Hilfe braucht. Auch wenn Dr. Katrin Hesters weiß, dass sie mit diesem Patienten nicht einmal die elementarsten Kostenbestandteile des Kleinbetriebes mit zwei Ärztinnen und fünf Angestellten wird decken können. Ihr Gegenüber interessiert sich im Zweifel nicht dafür, woher die Kostenexplosion im Gesundheitswesen kommt. Der Mensch will gesund werden.

Dass seine Ärztin 500 Regeln am Tag befolgen muss und schon bald dazu gezwungen sein wird, sämtliche in ihrer Praxis anfallenden Daten per Standleitung mit irgendeinem Rechenzentrum zu teilen, dass es für einen Hausbesuch samt Blutabnahme gerade mal 23 Euro gibt – inklusive Benzin – das kommt in keiner Arztserie vor.

Nur die Älteren unter ihren Patienten haben ein feines Gespür dafür. „Manchmal fragen vor allem Senioren, vorsichtig, wie lange wir das hier noch machen“, erzählt Katrin Hesters. Dass sie Ärztin geworden ist, hat sie bis heute nicht bereut. Dass sie im Jahr 2000 gemeinsam mit ihrer Kollegin Dr. Sonja Vogel in Rheurdt eine eigene Praxis eröffnet hat, manchmal schon. „Die politischen Rahmenbedingungen stimmen nicht. Nicht wir Ärzte entscheiden über die Behandlung, sondern Krankenkassen und ein System, in dem der niedergelassene Arzt immer weniger zählt.“

Das hat ganz praktische Konsequenzen: Wenn 800 bis 850 Patienten kommen – so wie vorgesehen, geht die Rechnung – vielleicht – auf. Wenn eine Grippewelle das Land erschüttert, verdoppelt oder verdreifacht sich diese Zahl, ohne dass es mehr Geld gibt. „Als ein Kollege in Alpen seine Praxis aufgab und keinen Nachfolger fand, mussten wir mit der KV lange verhandeln“, berichtet Hesters. Schließlich mussten die verbleibenden Ärzte die Patienten übernehmen – und wollten dafür bezahlt werden.

Alt werden auf dem Land – das ist in Rheurdt etwas leichter als anderswo, sagt Katrin Hesters: „Hier stimmen die Strukturen noch; die Familienbindungen, zum Beispiel.“ Mit dem Pflegedienst gebe es eine enge und gute Zusammenarbeit – und dadurch viele wichtige Hinweise, sobald etwas im Argen liegt. Doch gerade in der Pflege fehlten zahlreiche Kräfte, beobachtet Dr. Hesters: „Wenn jemand bislang als alter Mensch allein zu Hause gelebt hat, dann stürzt und plötzlich auf Hilfe angewiesen ist – dann ist das nur unter großen Anstrengungen zu organisieren.“ Selbstverständlich werde geholfen, wo immer es nötig sei. Doch ein Gespräch, in dem Patienten an die Eigenverantwortung erinnert werden könnten, an mehr Bewegung, weniger Alkohol und mäßige, aber regelmäßige Mahlzeiten – ein solches Gespräch kann die Ärztin gerade mal pauschal mit 4,50 Euro abrechnen – pro Abrechnungsperiode für maximal die Hälfte ihrer Patienten. „Da stimmt etwas nicht“, sagt Katrin Hesters. Und schildert ihre Wut, wenn Bundespolitiker behaupten, am Mittwochnachmittag seien alle Ärzte auf den Golfplätzen der Republik zu finden. Für Katrin Hesters und Dr. Sonja Vogel gilt das nicht. Die Rheurdter Ärztinnen eilen dann zu ihren Zweit-Jobs – auf die sie dringend angewiesen sind.

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