Geldern Hilfen für junge Flüchtlinge ohne Eltern

Geldern · Immer mehr unbegleitete minderjährige Ausländer sind von den Kommunen zu versorgen. Wohngruppen fast überall im Kreis, auch Pflegefamilien bringen sich ein. Für die Tagesstruktur seien Schule und Sport besonders wichtig.

Ein Blick in die Arbeitsweise einer Willkommensklasse am Klever Berufskolleg. Viele der jungen Leute, die hier nicht nur Deutsch lernen, leben in Wohngruppen der Caritas, des Anna Stifts, von SOS oder der Awo.

Ein Blick in die Arbeitsweise einer Willkommensklasse am Klever Berufskolleg. Viele der jungen Leute, die hier nicht nur Deutsch lernen, leben in Wohngruppen der Caritas, des Anna Stifts, von SOS oder der Awo.

Foto: Stade

Streng nach Quote werden die unbegleiteten minderjährigen Flüchtlinge, kurz "UMA" (wobei das A für Ausländer steht) vom Landesjugendamt den Kommunen zugeteilt. Derzeit muss jede Stadt mit eigenem Jugendamt pro 1346 Einwohner einen jungen Flüchtling aufnehmen und unterbringen. "Die Quote wird ständig angepasst, vor wenigen Monaten war es noch ein Jugendlicher pro 5000 Einwohner", berichtet Birgit Pauli-Heijnen, Leiterin der Pädagogischen Dienste in Kevelaer. Einen Großteil ihrer Arbeitszeit muss sie diesem Bereich widmen - und ihren Kollegen im Amt und in den Nachbarkommunen geht es nicht anders. Viele Städte suchen neue Mitarbeiter, obwohl die Etats das kaum zulassen.

22 junge Leute im Alter zwischen 14 und 17 Jahren sind Kevelaer derzeit zugeordnet, entsprechend mehr natürlich den größeren Städten. 20 hat Goch - da könnten es noch einige mehr werden. Kleve etwa muss sich um 42 "eigene" kümmern und um weitere aus den kleineren Nachbarkommunen. Untern anderen kümmert sich um diese jungen Leute die Caritas, deren Fachbereichsleiter Helmut van Kempen der RP einen Überblick gab: "Wir haben die jungen Leute in neun Gruppen untergebracht, einige leben stationär in der ,Münze', wieder andere in Gastfamilien." Es habe einen Info-Abend gegeben, bei dem angehende Pflegeeltern darüber aufgeklärt wurden, was auf sie zukomme. "Da ging es nicht nur um Sprache, kulturelle Unterschiede oder Traumata, sondern auch um Rechtliches, um die eingeschränkte Reisefreiheit und um Mobilität", berichtet van Kempen.

Dass es Familien oder Paare gibt, die sich der schwierigen Aufgabe stellen, darüber seien alle Verantwortlichen froh. Es wird auch gern gesehen, wenn sich weitere Engagierte melden. "Doch dabei gibt es einiges zu beachten: Zum Beispiel dürfen die Jugendlichen Landes- und Staatsgrenzen nicht übertreten. Wer also gewohnt ist, die Wochenenden in seiner Ferienwohnung an der holländischen Nordseeküste zu verbringen, sollte sich die Sache noch einmal überlegen." Andere Themen, die überraschen dürften: In manchen Kulturen gilt es als unsauber, mit Haustieren unter einem Dach zu leben. Auch das Frauenbild oder der Drang zu Mobilität verursachten häufig Schwierigkeiten: "Ich würde davon abraten, einen Jugendlichen, der sich mit seinen Bekannten aus der Heimat treffen möchte, auf einem Bauernhof in Kranenburg-Niel unterzubringen. Von dort kommt er ja nicht weg." Ganz wichtig sei eine Tagesstruktur, zu der neben der Schule auch Sport oder vielleicht der Besuch eines Jugendheims zähle.

Die Heranwachsenden brauchen zwar Bindung, allzu groß sollte die Nähe zur Gastfamilie aber nicht werden, denn mit dem 18. Geburtstag endet die Fürsorge der Jugendhilfe. Und dann wird eine andere Wohnform gefunden werden müssen. Oder der Jugendliche verschwinde aus eigenem Antrieb schon früher. "Da reicht manchmal eine SMS von Verwandten oder Bekannten, und sie machen sich auf den Weg", sagt van Kempen. In jedem Fall müssten die Jugendlichen stabilisiert werden und erfahren: Hier bist Du sicher. Wer aus einem Kriegsgebiet komme, vielleicht seine Eltern verloren habe, wolle oft nicht über das Erlebte sprechen. Die Pflegeeltern sollten mit Nachfragen zurückhaltend sein - Trauma-Therapie ist etwas für Profis.

Wichtig sei natürlich die Schule; "viele der UMA sind sehr bildungsinteressiert", sagt van Kempen. Sie wollen Deutsch lernen und möglichst bald in den Beruf. Birgit Pauli-Heijnen hat mit dem Problem zu tun, dass die Kevelaerer Schulen (die Gesamtschule ist im Aufbau, hat bislang nur fünfte und sechste Klassen) jüngeren Flüchtlingen nur wenig Angebote machen können. Diejenigen ab 16 besuchen das Berufskolleg in Geldern (die aus dem Nordkreis natürlich das in Kleve). In Kevelaer sind übrigens auch minderjährige Mädchen untergebracht, die insgesamt deutlich in der Minderzahl sind. Fast alle Kevelaer Zugewiesenen waren zunächst in einer "Clearinggruppe", was sehr wertvoll sei, um Grundlegendes zu lernen. "Es braucht auch Zeit, um Impfungen und Röntgenuntersuchungen zu organisieren, denn vorher dürfen sie keine Schule besuchen", weiß Pauli-Heijnen.

Sehr aktiv in der Betreuung von UMA ist das Anna Stift, das Wohngruppen in Emmerich, Kleve, Bedburg-Hau, Goch und Kevelaer betreibt. Bereichsleiter Oliver Hinnemann bedauert, dass die Schulen kaum nachkämen, die jungen Migranten aufzunehmen.

Ebenso wie Awo, SOS und alle anderen Beteiligten setzt das Anna Stift sehr stark auf Integration durch Schule, denn dort gelinge Integration am ehesten.

(RP)
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