CDU-Politiker Helmut Linssen aus Geldern Der Gelderner, der nie in die Politik wollte

Serie | Issum · Helmut Linssen trat erst mit 30 Jahren in die CDU ein. Im Gespräch verrät er, wem er seine erste Kandidatur verdankt. Und welchen Fehler er gemacht hat.

 Helmut Linssen vor dem Bücherregal in seinem Arbeitszimmer. Zeit zum Lesen und für die Musik hat der 79-Jährige seit zwei Jahren etwas mehr.

Helmut Linssen vor dem Bücherregal in seinem Arbeitszimmer. Zeit zum Lesen und für die Musik hat der 79-Jährige seit zwei Jahren etwas mehr.

Foto: Norbert Prümen

Eigentlich zog es Helmut Linssen überhaupt nicht in die Politik. Gelderns CDU-Frontmann und späterer Bürgermeister Paul Heßler musste schon all seine Überredungskünste aufbringen, um den jungen Diplom-Kaufmann dazu zu bewegen, für den Rat zu kandidieren. „Ist doch nur ein Abend in der Woche“, versprach er dem Gelderner Unternehmer. Linssen trat 1972 der CDU bei und kam 1975 in den Rat. Aber nur für fünf Jahre: 1980 ging es für ihn in den Landtag, auch wieder dank einiger Überredungskünste, wohl vor allem, weil einige der Herren an den damaligen Schalthebeln der Kreis-CDU das junge Politiker-Talent Peter Roosen aus Kevelaer noch (oder gar) nicht mit so einem Amt betrauen wollten.

Landtagsabgeordneter war Linssen dann 30 Jahre lang, fünf Jahre lang auch Landtagsvizepräsident. Und er war Generalsekretär der CDU Nordrhein-Westfalen, Fraktionsvorsitzender der CDU-Landtagsfraktion und damit zugleich Oppositionsführer im Landtag, Spitzenkandidat der Christdemokraten bei der Landtagswahl 1995. Gegen den damaligen Ministerpräsidenten Johannes Rau konnte er sich jedoch nicht durchsetzen, ebenso wie bei der Entscheidung um den Parteivorsitz im Land. 1999 hatte Jürgen Rüttgers die Nase vorn, der Linssen dann als Finanzminister in sein Kabinett holte. Bundesschatzmeister der CDU war er auch noch. Und diese Aufzählung ist mit Sicherheit nicht vollständig.

Doch wo kommt Helmut Linssen her? Alle Suchfragen im Internet weisen ihn als gebürtigen Krefelder aus. „Acht Tage war ich in Krefeld“, sagt Linssen selbst dazu. Seine Mutter war bei der Geburt schon 35, da setzte die Familie lieber auf das größere Krankenhaus in der Seidenweberstadt als auf das in der Heimatstadt Geldern. Aufgewachsen und zur Schule gegangen ist Linssen, der nun schon mit seiner Frau Cathrin seit 30 Jahren im abgelegenen und etwas versteckten Haus in Issum lebt, in Geldern. Dort machte er sein Abitur, die Lehre als Bankkaufmann führte ihn immerhin nochmal nach Krefeld zurück. Da der Vater starb, als Helmut Linssen gerade das Abi absolvierte, ging die Verantwortung für das Familienunternehmen Heinrich Linssen KG früh an seinen älteren Bruder Bernd und auch an ihn. Studieren wollte er aber noch, ging nach Hamburg und München und kam als Diplom-Kaufmann zurück. 1972 folgte noch die Promotion über „Interdependenzen im absatzpolitischen Instrumentarium der Unternehmung“.

Die lange politische Laufbahn hätte auch früher zu Ende sein können. „Nach der Niederlage gegen Rüttgers wollte ich aufhören“, erinnert sich Linssen. „Ich hatte keine Lust mehr.“ In diesem Fall war es Ronald Pofalla, mit dem gemeinsam Linssen sich 30 Jahre lang um die Kreispartei der CDU kümmerte, der ihn zurückhielt. Was sich auch fürs Land auszahlte. Als Finanzminister (Linssen: „Ich hatte mit Jürgen Rüttgers ausgemacht, dass er mich nicht, wie Gerhard Schröder damals Hans Eichel, im Regen stehen lässt, sondern wir an einem Strang ziehen“) brachte er die Landeskasse bei exorbitanter Verschuldung auf einen Haushalt ohne neue Schulden. Sein klarer Kurs und seine Erfolge machten ihn zum „stärksten Minister“ (Süddeutsche Zeitung vom 31. Oktober 2006) in der Regierung Rüttgers. Linssen: „Und dann habe ich einen Fehler gemacht: Weil wir mit einer Wiederwahl rechneten und ich die großen Probleme kommen sah, bildete ich eine Rücklage für die Belastungen durch die West-LB. Sonst hätte ich tatsächlich sogar anfangen können, Schulden zurückzuzahlen.“

Bei der Landtagswahl 2005 hatte Linssen den Wahlkreis mit 58,4 Prozent der gültigen Stimmen gewonnen, 2010 trat er nicht mehr an. Die favorisierte Nachfolgerin Ulrike Ulrich konnten Ronald Pofalla und er gegen die CDU-Basis im Gelderland nicht durchsetzen, am Ende wurde nach einem „Husarenstreich“ (so Linssen wörtlich) Margret Vosseler-Deppe seine Nachfolgerin. Linssen. „So viele Landwirte hatte ich noch nie bei einer Parteiversammlung gesehen.“ Mit den politischen Ämtern war dann endgültig Schluss, als 2014 im Rahmen des Ankaufs von Steuer-CDs durch seinen Nachfolger als Finanzminister, Norbert Walter-Borjans, bekannt wurde, dass die Familie Linssen Gelder in der Steueroase Bahamas hatte. Das Verfahren gegen ihn wurde eingestellt, aber Linssen legte direkt nach den ersten Veröffentlichungen sein Amt als Schatzmeister nieder.

Vom ruhigen Rentnerleben aber keine Spur, denn Ende 2012 kam er in den Vorstand der RAG-Stiftung und war verantwortlich für die Finanzen. Die Stiftung soll nach dem Ende des Steinkohlebergbaus 2019 die so genannten Ewigkeitskosten (Bergschäden oder Grubenwasser) des Bergbaus finanzieren und verwaltet ein milliardenschweres Vermögen. „Das war eine super Aufgabe“, so Linssen. „Wir hatten ein kleines Team, und ich konnte unternehmerisch tätig sein.“ Hüter der Milliarden: So nannte ihn die Rheinische Post. Im April 2019 gab er diese Aufgabe auf. „Mit 77 wollte ich dann in den vorgezogenen Ruhestand“, lacht Linssen. Und das habe besser funktioniert, als er selbst gedacht hätte. Viel Spaß bereitet ihm noch seine Beteiligung am Unternehmen Merulin. Endlich gibt es genug Zeit zum Lesen und für die Musik, gern in der Oper oder bei Konzertbesuchen genossen. Und die Goldhochzeit mit seiner Frau Cathrin wird nun noch mit der Tochter und den fünf Enkeln bei einer gemeinsamen Reise nach Italien nachgefeiert.

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