Interview mit Andreas Schüller von der JVA Geldern-Pont Corona hinter Gefängnismauern

Geldern · Bisher gibt es in der Anstalt keine Corona-Verdachts- oder Infektionsfälle. Der „normale Knast-Alltag“ wird aufrechterhalten. Besuchszeiten wurden gestrichen.

  Der Leiter der Justizvollzugsanstalt Geldern, Andreas Schüller, gibt ein Stimmungs- und Lagebild ab, äußert sich zum „Super-GAU“ und zu weiteren Fragen.

Der Leiter der Justizvollzugsanstalt Geldern, Andreas Schüller, gibt ein Stimmungs- und Lagebild ab, äußert sich zum „Super-GAU“ und zu weiteren Fragen.

Foto: Heinz Spütz

Das Coronavirus ist in aller Munde und hat das öffentliche Leben in Deutschland völlig verändert. Doch wie sieht es an Orten aus, an denen dieses öffentliche Leben gar nicht stattfindet, an denen Menschen das Grundrecht auf freie Entfaltung ihrer Persönlichkeit per Gesetz entzogen wurde und der „Shutdown“ zum Alltag gehört? Der Leiter der Justizvollzugsanstalt Geldern, Andreas Schüller, gibt ein Stimmungs- und Lagebild ab und äußert sich zum „Super-GAU.

Wie viele Häftlinge sitzen in der JVA ein?

Andreas Schüller „Aktuell sind es 489 Insassen. Zurzeit ist ein Hafthaus wegen Renovierungsarbeiten geschlossen, ansonsten wäre unsere Belegungsfähigkeit bei 681 Gefangenen.“

Welche Anweisungen gibt es vom Justizministerium?

Schüller „Seit dem 13. März habe ich ein Besuchsverbot für die JVA Geldern verfügt, dies geschah nach Rücksprache mit dem Ministerium. Im Übrigen verfahren wir hier nach dem Prinzip der „Insellösung“, also beispielsweise auf die Mitarbeit von Ehrenamtlern oder sonstigen Externen zu verzichten, um das Infektionsrisiko zu minimieren. Zulieferer kommen nach wie vor in die Anstalt. Dies geschieht im Einklang mit entsprechenden Erlassen des Ministeriums.“

Gibt es interne Dienstanweisungen für die Vollzugsbeamten und Bediensteten?

Schüller„Wir alle richten uns nach den Empfehlungen des Robert-Koch-Instituts und weisen regelmäßig auf die Hygienevorschriften hin.“

Wie haben die Insassen auf das Besuchsverbot reagiert?

Schüller „Ihre größte Sorge war es, nicht genug Tabak zu bekommen. Da wurde seitens der Anstaltsleitung eine Lösung gefunden, die auf Zustimmung bei den Häftlingen gestoßen ist. Das Besuchsverbot versuchen wir kurzfristig durch speziell eingerichtete „Skype-Plätze“ zu kompensieren. Ich gehe davon aus, dass diese in dieser Woche sukzessive an den Start gehen.“

Wissen die Häftlinge von der Corona-Krise?

Schüller „Natürlich, sie haben Fernseher in ihren Zellen und es gibt Tageszeitungen. Corona ist auch bei ihnen das dominierende Gesprächsthema.“

Wie gehen die Häftlinge mit dem Thema um?

Schüller„Ruhig und besonnen. Ausnahmen gibt es immer, aber die gibt es auch ohne Corona. Wir treffen uns regelmäßig mit bestimmten Häftlingen aus allen Abteilungen, der sogenannten Gefangenenmitverantwortung, und informieren sie über den neusten Stand. Da werden natürlich auch Hygiene- und Vorsichtsmaßnahmen angesprochen. Im Übrigen informieren wir in den Hafthäusern natürlich über unsere Bediensteten und durch Aushänge“.

Gibt es bereits Verdachtsfälle innerhalb der Gefängnismauern?

Schüller„Ein klares Nein mit Stand vom 23. März.“

Die Infektionsgefahr lauert von außen. Wie viele Personen laufen täglich durch die Pforte?

Schüller„Der allgemeine Vollzugsdienst arbeitet im Schichtdienst. Die übrigen Bediensteten in der Regel im normalen Tagesdienst. Insgesamt sind es etwa 150 Personen pro Tag inklusive Lieferanten.

Lassen sich „soziale Kontakte“ in der JVA vermeiden?

Schüller„Das ist schwierig und derzeit auch innerhalb der Mauern noch nicht beabsichtigt. Notwendige Maßnahmen im Rahmen des Strafvollzugs müssen durchgeführt werden und da sind diese Kontakte, die mitunter sehr eng sind, unvermeidbar. Grundsätzlich versuchen wir aber, die empfohlene körperliche Distanz im Umgang zwischen den Bediensteten und mit den Gefangenen zu wahren. In der Kantine beispielsweise wurden die Stühle auf eine gesunde Distanz auseinandergestellt.

Hat sich der „Knast-Alltag“ durch Corona verändert?

Schüller „Mit Ausnahme der Einstellung des Besuchs, nein, überhaupt nicht. Die Arbeit und Ausbildung der Häftlinge in den internen Betrieben geht weiter. Sport, Schule und Kirche finden wie immer statt. Ein Einschluss der Häftlinge rund um die Uhr ist weder notwendig, noch sinnvoll.“

Wie sieht es mit der medizinischen Versorgung aus?

Schüller „Der Anstaltsarzt ist natürlich vor Ort. Corona-Tests sind für den Bedarfsfall ausreichend vorhanden. Zusätzlich wurde vorsorglich eine Quarantäneabteilung eingerichtet. Normale Infektionsfälle können in der Anstalt behandelt werden, Fälle, die einer intensivmedizinischen Behandlung bedürfen, müssen dem Justizvollzugskrankenhaus in Fröndenberg übergeben werden. Weitere Hilfsmittel, Schutzausrüstungen und Desinfektionsmittel sind weitgehend vorhanden, im Übrigen wurden diese bestellt und müssten jeden Tag eintreffen.“

Gab es bereits Verdachtsfälle?

Schüller „Gott sei Dank hatten wir bisher keine Verdachts- oder Infektionsfälle. Ich halte sowohl meine Bediensteten als auch die Häftlinge für sensibel genug, sich bei auftretenden Symptomen rechtzeitig zu melden. Deshalb haben wir ja auch Bedienstete und Gefangene sehr umfangreich über den Corona-Virus informiert. Im Moment gilt es, innerhalb der Mauern den Normalbetrieb so weit wie möglich aufrechtzuhalten.“

Was wäre, wenn sich ein Verdachtsfall bestätigen sollte?

SchüllerWir würden nicht von der Situation überrascht werden. Es gibt Notfallpläne, die man abarbeiten müsste. Die letzte Entscheidung trifft bei Infektionsfällen ohnehin das Gesundheitsamt.“

Der Leiter der Justizvollzugsanstalt Geldern, Andreas Schüller, gibt ein Stimmungs- und Lagebild ab, äußert sich zum „Super-GAU“ und zu weiteren Fragen. Foto: Spütz

Der Leiter der Justizvollzugsanstalt Geldern, Andreas Schüller, gibt ein Stimmungs- und Lagebild ab, äußert sich zum „Super-GAU“ und zu weiteren Fragen. Foto: Spütz

Foto: Heinz Spütz

In Italien sollen Häftlinge bereits rebelliert haben?

Schüller „Ausschreitungen wie in Italien halte ich aktuell für nahezu ausgeschlossen. Ich mache mir ständig ein Bild von der Stimmung bei den Häftlingen und habe bislang keine Auffälligkeiten feststellen können. Meine Mitarbeiter konnten mir diese Einschätzung bestätigen.“

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