Geldern Fast 30 Jahre lang für Gefangene da

Geldern · Karola Müdders aus Geldern hat eine Gesprächsgruppe im Gefängnis in Pont betreut. Fast 30 Jahre lang war sie Woche für Woche ehrenamtlich für die Gefangenen da. Sie sah in ihnen immer den Menschen, nie die Tat.

 Karola Müdders aus Geldern. Sie hat fast 30 Jahre lang Gefangene im Ponter Gefängnis in einer Gesprächsgruppe begleitet.

Karola Müdders aus Geldern. Sie hat fast 30 Jahre lang Gefangene im Ponter Gefängnis in einer Gesprächsgruppe begleitet.

Foto: Sina Zehrfeld

Karola Müdders hat sich fast 30 Jahre lang Straftätern gewidmet. Zwei mal „Lebenslänglich“, wenn man so will. Eines hat sie dabei bis zuletzt immer wieder sehr bewegt: „Ich sah diese Verlorenheit in den Blicken der Gefangenen“, sagt die heute 76-jährige mit ihrer hellen, freundlichen Stimme. „Ich hab immer gedacht: Das könnte auch einer deiner Söhne sein.“ Vielleicht, meint sie lachend, habe sie da einen speziellen Wesenszug: „Ich hab’ immer eine Ader für die Schwachen gehabt.“ Selbst beim Fußball habe sie immer zur Verlierermannschaft gehalten. Und die Männer im Gefängnis: „Das sind ja auch irgendwie Verlierer.“

Karola Müdders hat im Gefängnis in Pont eine Gesprächsgruppe betreut. Woche für Woche bereitete sie Denkanstöße und Diskussionsgrundlagen zu unterschiedlichsten Themen vor. „Zorn, Sexualität, Liebe, Familie. Was man sich so denken kann“, zählt sie auf: „Alles, was uns Menschen betrifft.“ Und zwar Menschen aller Art: Teilnehmer aller Berufsschichten und verschiedenster Nationalitäten lernte sie kennen.

Über die Taten, die die Männer ins Gefängnis gebracht haben, spricht sie nicht. Auch in der Gruppe spielte das nur dann eine Rolle, wenn ein Teilnehmer es wollte. Nur so viel: „Ich habe wirklich viele traurige Fälle gehabt. In Pont sind ja schwere Jungs.“ Das Eis zu brechen, dauerte deswegen oft lange. „Die meisten waren es überhaupt nicht gewohnt, zu sprechen.“ Und wenn es ihr um grundlegende, menschliche Werte ging, Mitgefühl zum Beispiel, dann offenbarten die Reaktionen manchmal viel: „Sie sagen, mit mir hat auch niemand Mitgefühl gehabt.“ Deshalb war es für sie immer wieder etwas ganz Besonderes, wenn sich daran auf einmal etwas tat: „Der veränderte Ausdruck in den Augen der Gefangenen, wenn sie Zutrauen gefasst haben.“

Ihre Gruppe zur Lebenshilfe war aus einem Projekt eines Gefängnispfarrers hervorgegangen: einer zweiwöchigen „Gefängnismission“ im Jahr 1989. Karola Müdders war eine der Ehrenamtlerinnen eines Gebetskreises, die dabei halfen. Und als das vorbei war, „da haben die Männer gesagt: Jetzt habt ihr uns neugierig gemacht, und jetzt geht ihr wieder“, erinnert sich Müdders.

Das wollte sie nicht. Also machten sie und Mitstreiter zuerst mit einer religiösen Gesprächsgruppe weiter. Und als 1992 eine zweite Gruppe gegründet werden sollte, diesmal nicht mit religiösem, sondern sozialem Schwerpunkt, da hatte sie das Gefühl, sie könnte das schaffen, also sollte sie es auch tun. „Man muss die Talente, die man in sich spürt, auch einsetzen. Wir haben unsere Talente nicht nur für uns alleine“, findet sie.

Bei den Gruppenstunden hatte sie meistens noch einen ehrenamtlichen Mitstreiter zur Seite, aber sie war immer federführend. Etwa 15 Jahre lang hat sie zudem Gefangene zu Einzelgesprächen besucht.

In all der Zeit haben sich enge Kontakte entwickelt. Und dabei ging Karola Müdders durchaus Wagnisse ein. Einmal bürgte sie für einen jungen Mann, der hinter Gittern ein kostenpflichtiges Fernstudium machen wollte. Der lebt heute ein ganz anderes Leben. Er hat das Studium hervorragend abgeschlossen, hat einen Beruf, eine Familie, es geht ihm gut, man hört gelegentlich voneinander. Und schon lange hat er seine Studiengebühren abgezahlt.

„Ich musste Mut dazu haben“, blickt sie zurück. Aber tatsächlich sei sie niemals enttäuscht worden von einem Gefangenen. Was andererseits vielleicht auch daran liegt, dass sie sich keine Illusionen machte: „Wenn man das Gefühl hat, dieser Mensch kann nicht anders, dann ist das ja keine Enttäuschung.“

Auch große Überraschungen habe es für sie daher nie gegeben, schüttelt sie den Kopf: „Wir Menschen sind zu allem fähig. So richtig verblüfft hat mich eigentlich nichts.“

Nach vielen Jahren des Engagements spürte sie, dass es für sie langsam genug wäre. Und dann gab es Umbrüche in der Gruppe: Entlassungen, Verlegungen, kurze Zeit gab es nur alle 14 Tage ein Treffen. Da hatte sie das Gefühl: „Jetzt lass es gut sein, das ist ein Zeichen.“

Sie geht, ohne dass es für ihre Arbeit einen Nachfolger gibt. Ihr persönliches Fazit ist: „Es war eine aufregende Zeit, aber auch eine sehr reiche Zeit. Es hat nicht nur den Gefangenen was gegeben, sondern auch mir.“ Und zwar: „Dass ich meine Talente einsetzen konnte und das Gefühl hatte, dass es richtig ist. Sonst hätte das nicht 29 Jahre gehalten.“

Und die lange Zeit habe ihr vor Augen geführt, „dass wir alle nicht fehlerfrei sind“. Ihre Botschaft: „Wer sind wir, dass wir sagen können: Du bist schuldig geworden, sieh zu, wie du klarkommst.“

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