Evangelische Kirche erstellt Schutzkonzept „Seelenmord“ schon im Ansatz bekämpfen

Issum/Geldern · Die evangelischen Kirchen müssen ein Schutzkonzept gegen sexualisierte Gewalt erarbeiten. In Issum gab es dazu eine Schulung.

 Catarina Marpmann leitete einen Workshop zur Prävention vor sexueller Gewalt.

Catarina Marpmann leitete einen Workshop zur Prävention vor sexueller Gewalt.

Foto: dpa/Friso Gentsch

Es gibt Geheimnisse, die sollten nicht geheim bleiben. Bei den Worten „erzähl es keinem weiter“ sollten sämtliche Alarmglocken schrillen, vor allem wenn es um sexualisierte Gewalt geht. Um für das Thema sensibel zu machen und zu informieren trafen sich Mitarbeiter der evangelischen Kirchengemeinden Issum und Kerken zu einem umfassenden Workshop mit Catarina Marpmann. „Es soll keine Hysterie entstehen“, betont sie. Aber: „Wir alle müssen hin zu einer Kultur des Hinschauens und weg von einer Kultur des Wegschauens.“

Eine hohe Anzahl bekannt gewordener Missbrauchsfällen hatte die katholische Kirche erschüttert. „Im evangelischen Kirchenkreis Kleve, seinen Gemeinden inklusive der Kindertagesstätten ist uns derzeit kein Verfahren bekannt, dass mit dem Themenkreis sexualisierte Gewalt zu tun hätte“, erklärt Stefan Schmelting, zuständig für die Presse- und Öffentlichkeitsarbeit im evangelischen Kirchenkreis Kleve.

Wenn man über den Tellerrand hinaussieht, gibt es durchaus anhängige Verfahren. Bei der evangelischen Kirche im Rheinland sind seit 2003 gegen 29 Pfarrpersonen strafrechtliche oder disziplinarrechtliche Verfahren eingeleitet worden. Anfang 2020 waren sechs Verfahren im Kontext mit sexuellem Missbrauch oder sexueller Beleidigung als Disziplinarverfahren anhängig. In drei Verfahren werde noch staatsanwaltlich ermittelt.

Die evangelische Kirche setzt mehr denn je auf Prävention. Bis Ende des Jahres müssen die Kirchengemeinden ein individuelles Schutzkonzept vorstellen. Individuell, weil eine Gemeinde mit Kindertagesstätten und Konfirmandenarbeit andere Ansprüche und Bedürfnisse hat als eine Gemeinde, bei der vorwiegend die Arbeit mit Erwachsenen im Vordergrund steht.

So gut wie fertig ist das „Schutzkonzept der Prävention sexualisierter Gewalt der evangelischen Kirchengemeinde Geldern“. Klingt sperrig, aber jedes Wort ist gezielt gewählt. So spreche man bewusst von „sexualisierter Gewalt“. „Es geht hierbei nicht um Sexualität, sondern eigentlich darum, Macht auszuüben“, erklärt Gelderns evangelische Pfarrerin Sabine Heimann. Die Frage ist, wann fängt das an? „Das Wichtigste ist der Respekt vor der Grenze des anderen“, stellt die Pfarrerin klar. „Wenn es einem Kind komisch ist, wenn jemand anderes seine Hand auf dessen Unterarm legt, dann muss das Kind das sagen können.“ Es geht um Offenheit und das Erkennen von frühen Grenzüberschreitungen. Und „unheimliche Geheimnisse“ soll es eben nicht geben. Schon lange setze man beim Einsatz von haupt- und ehrenamtlichen Mitarbeitern auf eine Selbstverpflichtung. Damit erklären die Mitarbeiter, den anderen und seine Grenzen zu achten. Diese Offenheit mit dem Thema hat noch einen weiteren Nutzen: „Menschen, die eine Neigung zur sexualisierten Gewalt haben, scheuen vor Einrichtungen zurück, in denen sie mit diesem Thema direkt konfrontiert werden“, sagt Sabine Heimann. Mit einem umfassenden Schutzkonzept wird das Ganze in Form gegossen.

In der Erklärung der Gelderner heißt es, Prävention „ist eine innere Haltung, die jedes Kind und jeden Jugendlichen achtet, wertschätzt und in seiner Entwicklung unterstützt“. Grundlage des Ganzen ist das christliche Menschenbild, dass jeder Mensch von Gott geliebt und wertvoll ist. Und gerade deswegen findet es auch Issums evangelische Pfarrerin Yvonne Brück so wichtig, dass die Kirche ein Schutzraum ist und bleibt. Weil man dort Schutz erwarten darf. „Uns sind Menschen anvertraut. Eltern, die uns ihre Kinder anvertrauen, gehen davon aus, dass sie unversehrt bleiben.“ Deswegen stelle der Missbrauch in Kirchen einen besonderen Vertrauensbruch dar. „Wir stehen doch für was anderes, für Glaube, Nähe, Geborgenheit, Wertschätzung und Geliebtwerden“, sagt die Pfarrerin. Catarina Marpmann findet im Workshop zum Thema sexualisierte Gewalt klare Worte. Sie spricht von „Seelenmord“. „Da wird nachhaltig die Seele und das Leben eines Menschen beschädigt.“

 Catarina Marpmann

Catarina Marpmann

Foto: Grabowski/Photographer: Gisela Grabowski

Wie der Umgang mit „schlechten Geheimnissen“ aussehen kann, dazu gab es im Workshop einen Film mit Lösungsansätzen. „Das Mädchen hat ihr schreckliches Erlebnis einem anderen Mädchen erzählt, die sagt: ,Wir erzählen das so lange, bis uns jemand glaubt.’ Das fand ich mutmachend“, sagt Pfarrerin Yvonne Brück. Damit es erst gar nicht zu solchen Geheimnissen kommt, wird Issum wie auch alle anderen Kirchengemeinden Schutzkonzepte erstellen.

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