Geldern Durch Granate "vollständig zerstückelt"

Geldern · Wie ein Soldat aus der Garnison Geldern den Frankreich-Feldzug erlebte. Sein Tagebuch im Internet.

 Im einem Schützengraben wie auf diesem Bild lag auch Josef Delewe.

Im einem Schützengraben wie auf diesem Bild lag auch Josef Delewe.

Foto: archiv

Bejubelt von der Menge, zog die Gelderner Garnison vor genau 100 Jahren, am 8. August 1914, in den Krieg. "Einer der Soldaten war Josef Delewe", weiß Gerhard Halmanns, der Vorsitzende des Historischen Vereins für Geldern und Umgegend. Wie der Gefreite, der etwa 1890 in Papenburg geboren wurde, die ersten Kriegswochen erlebte, ist im Internet auf der Seite www.europeana1914-1918.eu festgehalten. Dort steht Delewes Kriegstagebuch, das er vom 31. Juli 1914 bis zum 8. November 1914 (obwohl er anfangs schreibt: "Meine Erlebnisse im Kriege 1914/15") führte.

Delewe arbeitete als Lehrer, ehe er am 31. Juli 1914 zur 10. Kompanie des 3. Bataillons im Infanterieregiment 159 nach Geldern zu einer achtwöchigen Übung eingezogen wurde. Er war an Kämpfen in Belgien und Frankreich beteiligt. So nahm er am französischen Feldzug um Maubeuge, Bouconville, Ailles und Saint-Quentin teil. Rund 130 Seiten umfasst sein Kriegstagebuch. Erst kommt die Aufzählung der Kompanieführer, ehe Delewe mit den Niederschriften seiner Kriegserlebnisse beginnt, eingeleitet mit den Zitaten "Mit Gott für König und Vaterland!" sowie "In Not und Tod mit Gut und Blut treu bis zum letzten Atemzug".

Propaganda-Sprüche à la "Jeder Stoß ein Franzos'" lässt Delewe auch einfließen, als er den Auszug aus Geldern beschreibt. Die Bevölkerung habe Spalier bis zum Sonderzug gebildet, notiert er. Um 15 Uhr setzt sich der Zug in Bewegung, untermalt von einer Musikkapelle.

"Belgischer Feldzug" schreibt Delewe an den Kopf der Seite 22, mittlerweile ist der 16. August. Abmarsch, immer wieder Abmarsch dominiert den Ablauf der nächsten Tage. Den "Französischen Feldzug" lässt er auf Seite 42 am 27. August beginnen. Am 29. August ist um 4 Uhr "stiller Alarm". Delewe wird mit sechs Mann auf Patrouille geschickt, um "Verbindung mit der 11. Compagnie" aufzunehmen. Die Granaten pfiffen, und der Gefreite sah zum ersten Mal "die schreckliche Wirkung derselben". Die neunte Compagnie erleidet Verluste. Einen Tag später schreibt er von "schrecklichem Artilleriekampf auf beiden Seiten".

Am 4. September erstürmen die Deutschen ein Fort und nehmen 150 "Rothosen" gefangen. Am 5. September wird um 4 Uhr der Rückzug der Kompanien befohlen. Am 7. September haben die Infanteristen Ruhetag. "Unsere Artillerie beschoss wirksam und kräftig die Forts." Abends kommt die Mitteilung: 40 000 bis 45 000 Franzosen und Engländer als Gefangene, und circa "500 Kanonen fielen in unsere Hände". Als Kämpfer fällt Delewe ein paar Tage aus. Nachdem er dem Bataillonsstabsarzt seinen Stuhlgang gezeigt hatte, diagnostiziert dieser Magen- und Darmkatarrh. Delewe muss in die Krankensammelstelle. "Ich erhielt noch einen ordentlichen Löffel Rizinusöl, der großartig wirkte." Als Wache am Kriegslazarett ist der Gefreite aber immerhin noch zu verwenden.

Eine betrübliche Nachricht notiert Delewe am 30. September: Sein früherer Hauptmann sei durch eine Granate "vollständig zerstückelt" worden. Wie verlustreich die Kämpfe verliefen, erhellt ein Eintrag vom 7. Oktober: "Unsere Truppen hatten mächtig gelitten." Das dritte Bataillon, bereits aufgelöst, wird durch Ersatz aufgefüllt. Auch vom Blutzoll der Franzosen berichtet der deutsche Gefreite beim Rückblick auf den 22. September: "Unsere Artillerie richtete sämtliche Geschütze dahin, und es blieben von den zwei Regimentern noch 27 Mann übrig." Oder am 12. Oktober: "Die 103er ließen die Feinde bis auf 150 bis 200 Meter an den Schützengraben herankommen und eröffneten dann ein mörderisches Feuer."

Das Sterben einfacher Soldaten führt zu keinem Eintrag. Anders war es, als "unser Major" oder "unser Oberleutnant" fielen. Was aus Delewe geworden ist, sagt das Tagebuch natürlich nicht.

(RP)
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