Geldern Die Welt aus der Sicht eines Truckers

Geldern · In "Wahnsinn Lkw" lässt Rainer Große alias Rainer Ballack sein Berufsleben Revue passieren. Tricksereien seien an der Tagesordnung. Das Buch des Gelderners ist auch ein Stück Zeitgeschichte.

 Rainer Ballack nennt sich Rainer Große als Buchautor. Zurzeit arbeitet er an einer zweiten Veröffentlichung.

Rainer Ballack nennt sich Rainer Große als Buchautor. Zurzeit arbeitet er an einer zweiten Veröffentlichung.

Foto: Markus van Offern

Er steht in der Tür zur Redaktion. In der Hand eine kleine Reisetasche. Daraus zieht er einen kleinen Zettel, eine Kurzbeschreibung seines ersten Buchs "Wahnsinn Lkw".

Angereist ist er mit dem Zug aus seiner neuen Heimat Berlin. Die Zeiten, da der Gelderner sich auf den Bock schwang, sind vorbei. Ein Augeninfarkt machte das unmöglich. Danach kam eine lange Zeit im Krankenhaus. "Multiorganversagen", sagt Rainer Große. Er hat sich zurückgekämpft ins Leben und dann ein Buch geschrieben. Als Autor steht da Rainer Ballack. Weil es weniger um ihn als um den Stoff selbst gehen soll, erklärt der Autor.

Das Buch ist dennoch autobiografisch. Es beschreibt ungeschönt das Leben auf der Straße mit dem Lkw, manchmal in krassen Worten und mit unschönen Orten. "Es ist kein Wutbuch", betont Große gleich zu Anfang des Gesprächs. Wenn Wut, dann Arbeitswut. Der Autor beschreibt sein Leben zwischen Termindruck, Stau und oft zu wenig Schlaf. Offen schreibt er über Trickserei. "Aber ohne ins Detail zu gehen. Ich will ja keine Anleitung geben", sagt Große. Es geht um manipulierte Fahrtenbücher, nicht eingehaltene Ruhezeiten. "Ich habe so offen geschrieben wie nur möglich", sagt der ehemalige Gelderner. Namen sind verfremdet worden, bei einem Gelderner Unternehmen hat er nie gearbeitet.

Vor zehn Jahren hatte er schon einmal den Versuch unternommen, über das Erlebte zu schreiben, und die ersten Niederschriften schnell zerrissen. Sein Buch, 260 Seiten stark, ist gereift. "Trickserei, Manipulation - das ist alles Selbsttäuschung", sagt er heute. "Man hat vielleicht momentane Erfolge, aber macht sich dennoch was vor." Die Tiefenprüfung bringe es an den Tag. "Auf Dauer geht das schief", zieht Große eine Bilanz seines Lkw-Fahrer-Lebens. Er wirkt nachdenklich. "Ein ehemaliger Kollege, der muss bei Weeze irgendwo wohnen, ist in Holland zweimal von der Fahrbahn abgekommen." Als ihm das ein Kollege erzählte, wusste Große sofort, was los war. "Er hat immer getrickst, er ist älter geworden." Ob es Sekundenschlaf war oder ein anderer Aussetzer, gefährlich war es auf jeden Fall.

Große erzählt vom Druck. Der vom Chef und den Disponenten sei ohnehin da. Dazu komme das gegenseitige Antreiben unter den Kollegen. Er ballt die Faust. "Jeder will auch zeigen, dass er fahren kann", sagt der Autor. Ob er nach all dem noch einmal Lkw-Fahrer werden würde? "Nee", sagt Große. Er überlegt kurz und verbessert sich. "Doch, doch, doch, ich würde es werden wollen, aber nur unter den Verhältnissen, die ich bei der letzten niederländischen Spedition kennengelernt habe." Dort ging es korrekt zu.

Lesen sollten sein Buch allerdings nicht nur Gleichgesinnte, Lkw-Fahrer, sondern "jeder". Wer das Buch liest, findet damit ein gutes Stück Zeitgeschichte. Es ist spannend zu lesen, wie sehr sich die Welt, und vor allem auch Deutschland, von den 1980er Jahren bis 2010 verändert hat.

Das eine ist die Technik. In seiner Anfangszeit musste Große seinen Chef vom Münztelefon aus anrufen. An Mobiltelefone, Navigationsgeräte oder gar Lkw-Maut dachte damals noch keiner. Große fuhr unter anderem die Transitstrecke West-Berlin - DDR. Gleich zu Beginn des Buches streut er etwas zum Thema Spionage ein.

Er unterbricht das Gespräch und rückt ein Stück näher. "Wie alt sind Sie?", fragt er und gibt sich die Antwort selber. "Das können Sie ja nicht wissen. Sie sind zu jung, um den kalten Krieg miterlebt zu haben", sagt er zu seinem Gegenüber. Es geht um Militärspionage. "Die Lkw-Fahrer konnten die Grenzen relativ problemlos überqueren, die Grenzen, die ziemlich dicht waren."

Er setzt sich in seinem Stuhl auf. "Im Lkw sitzt man hoch, da konnte man über die Zäune gucken", erklärt er. Was die Lkw-Fahrer an militärischer Ausrüstung sahen, wurde Stück für Stück weitergegeben. "Es sind aber wenige, die das gemacht haben", sagt Große über Spionage vom Westen in den Osten und umgekehrt. Damit wird sich dann sein zweites Buch beschäftigen, das er schon in Angriff genommen hat.

(RP)
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