Ein Waldspaziergang der traurigen Art Leise geht der Wald zugrunde

Straelen · Die Rotbuche galt mal als Mutter des Waldes. Nach zwei Dürrejahren liegt sie im Sterben. Nicht besser ergeht es Lärchen, Fichten, Birken und Eichen. Ein Happy End ist nicht in Sicht.

 Die Dürre der vergangenen zwei Jahre macht nicht nur den Bäumen im Straelener Wald zu schaffen. Immer mehr lichte Baumkronen oder tote Bäume sind zu sehen.

Die Dürre der vergangenen zwei Jahre macht nicht nur den Bäumen im Straelener Wald zu schaffen. Immer mehr lichte Baumkronen oder tote Bäume sind zu sehen.

Foto: Bianca Mokwa

Wald gleich Idylle, leider Fehlanzeige. Zumindest, wenn man genauer hinsieht oder nachfragt. „Sind die Bäume besser dran als letztes Jahr?“, ruft ein Jogger auf seiner Runde Waldbauer Markus Becker zu. Der Straelener Biologe hat es sich zur Aufgabe gemacht, besondere Waldführungen anzubieten. Wie es um die Bäume steht, erfahren die Besucher beim Rundgang. Der Jogger bekommt eine kurze Zusammenfassung: „Viele der alten Buchen gehen zugrunde. Sie sind im vergangenen Jahr geschädigt worden. Jetzt sterben die.“ Und sie sind nicht die einzigen: „Lärche, Fichte und viele der älteren Birken und Eichen“, zählt Becker auf. Alle sind geschwächt und damit anfällig für Schädlinge. „Es gibt 250 verschiedene Pilzarten, die auf die Buche gehen, die feiern jetzt ein Fest“, sagt der Straelener ironisch. Dabei galt die Buche bisher eigentlich als Mutter des deutschen Waldes, war die beherrschende Baumart. Nicht besser ergeht es der Fichte. „Der Brotbaum der deutschen Holzindustrie“, wie Becker sagt.

Am 18. Januar 2007 zog Orkan Kyrill übers Land, genau elf Jahre später Orkantief Friederike. Die beschädigten Fichten waren nicht nur geschwächt, sie lieferten auch eine Duftspur für den Borkenkäfer, der seitdem zuschlägt. Ein halber Hektar ist dem Insekt im Straelener Waldstück zum Opfer gefallen. Mittlerweile wachsen an der Stelle viele junge Birken nach. Doch die Zukunft dieser neuen Waldgesellschaft ist alles andere als gesichert, befürchtet Becker. Denn Waldbauern denken in größeren Zeitdimensionen. „Wir wollen doch alle für die nächsten Generationen naturnahe Wälder erhalten“, sagt Becker. „Aber bei veränderten Klimabedingungen werden langfristig manche der heimischen Bäume nicht mehr mitkommen.“

 Sind die Bäume geschwächt, haben Schädlinge freie Bahn. Die Löcher im Baum verheißen nichts Gutes.

Sind die Bäume geschwächt, haben Schädlinge freie Bahn. Die Löcher im Baum verheißen nichts Gutes.

Foto: Bianca Mokwa

Er muss nicht viel mehr sagen. Der Blick reicht. Nicht weit vom ehemaligen Fichtenstandort erheben sich große, schlanke Birken. Blätter haben sie nicht mehr. Sie sind tot. Die Dürre hat auch sie geschafft. Irgendwann reißen die Wasserfäden im Inneren des Baumes, der Transport bis oben ist nicht mehr möglich, erklärt der Waldbauer. Man müsse nicht Biologie oder Forstwirtschaft studiert haben, um die Veränderungen wahrzunehmen. Er empfiehlt den Blick nach oben, in die Kronen. „Verlichtung“ – dieses Wort fällt noch häufiger. Es bedeutet, dass sich in den Kronen deutlich weniger Blätter als üblich befinden. Es ist ein Alarmzeichen, dass die Bäume zu kämpfen haben. „Sie müssen mit dem Wasser leben, was da ist“, sagt Becker. Die Wurzeln reichen nicht bis zum Grundwasser. Volle, dichte Kronen haben aktuell die Eichen am alten Bahndamm in Straelen, dort ist ein Bachlauf. Die meisten anderen haben das Nachsehen.

 Max von Elverfeldt, Vorsitzender der Familienbetriebe Land und Forst, betont den Ernst der Lage.

Max von Elverfeldt, Vorsitzender der Familienbetriebe Land und Forst, betont den Ernst der Lage.

Foto: ja/H.Glader

Eine weitere Folge der Dürre ist der Trockenbruch, Äste fallen ab. Als im vergangenen Dürresommer der „Elefantenbaum“, eine fast 300 Jahre alte Buche mit wuchtigen Ausmaßen, einen Arm verlor, war Becker alarmiert. Nun wird der alte Baum bei Dürre künstlich bewässert. „Das ist Gärtnern im Wald“, sagt der Straelener. Zum Gärtnern im Wald gehört für ihn auch das „Unkrautzupfen“, auch wenn das andere Dimensionen als im heimischen Garten annimmt. Ohne beherztes Ausrupfen würde sich der Staudenknöterich im Wald ausbreiten. Das Problem: „Er gehört hier nicht hin“, sagt der Biologe, und er lässt weniger Platz für die einheimische Flora. Zum Beispiel den Königsfarn. Der steht auf der Roten Liste, ist aber im Straelener Wald noch zu finden.

Bisher hätten invasive Arten noch keine einheimische Arten vollkommen verdrängt, sagt Becker. Dennoch störe es Botaniker, wenn fremde Arten immer mehr den Wald erobern. Die Einzigartigkeit heimischer Naturräume gehe verloren. Dagegen können sich einige nichtheimische, dürre- und hitzeresistentere Baumarten als „Klimagewinner“ ausbreiten. Dazu zählen die amerikanische Traubenkirsche und die Robinie, sowie die aus dem Mittelmeerraum eingebürgerte Esskastanie. Diese sind irgendwann eingeführt worden. Inklusive vieler Krankheiten.

„In Containern werden Krankheitspilze mit verschifft“,erklärt Becker. Nicht immer sei das problematisch, aber manchmal doch. Am Ende der Tour macht er vor einem Bergahorn Halt. Die Rinde des Baumes ist mit einer schwarzen Schicht belegt. Rußrindenkrankheit lautet die Diagnose. Bis März vergangenen Jahres kannte er den Pilz nicht, sagt der Waldbauer. Er sei ein Beispiel für die verhängnisvolle Schnittstelle zwischen der Globalisierung vieler Arten und dem menschengemachten Klimawandel: der Mensch verhalf dem nordamerikanischen Pilz ab 2005 in Deutschland Einzug zu halten, während extreme Hitze und Dürre den Bergahorn so schwächten, dass der Krankheitserreger sie abtöten kann, erklärt Becker.

Sterbende Bäume, gab es das nicht schon mal? Davon hat man doch nach ein paar Jahren auch nichts mehr gehört? Damals, als der saure Regen vielen Bäumen den Garaus machte, konnte man das Problem in Deutschland mit Rauchgas-Entschwefelungsanlagen und Katalysatoren in den Griff bekommen. „Aber die Dürre nahm erst im Zuge des Klimawandels zu. Und dieser ist ja im Unterschied zu einer örtlich begrenzten Luftverschmutzung ein globales Problem“, gibt Becker zu bedenken.

Max Freiherr von Elverfeldt formuliert es noch etwas schärfer: „Den meisten Menschen ist nicht klar, in was für eine gewaltige Kastastrophe wir rutschen“, sagt der Bundesvorsitzende der Familienbetriebe Land und Forst mit Forstbetrieb in Kalbeck am Niederrhein. Die Hälfte des Waldes in Deutschland und sogar zwei Drittel des Waldes in Nordrhein-Westfalen gehöre Privateigentümern. „Denen muss man helfen und Mut machen, dass die den Wald wieder aufgebaut bekommen“, sagt Freiherr von Elverfeldt. „Und zwar möglichst schnell.“ Allerdings fehlt es an Geld, weil die Waldbauern nichts verdienen. Viele Bäume, die eigentlich auf den Holzmarkt gehören, sind krank oder dem Borkenkäfer zum Opfer gefallen.

Die Politik habe erkannt, dass es ein Problem gibt, sagt der Interessenvertreter der Forstwirtschaftler. Die Bundeslandwirtschaftsministerin habe Gelder zugesagt, 500 Millionen Euro, von den Ländern sollen Gelder dazukommen, insgesamt rede man von 800 Millionen Euro. „Das klingt viel, aber wenn man das auf alle Bundesländer herunterrechnet“, überlegt Freiherr von Elverfeldt, habe der einzelne Waldbauer doch nicht so viel am Ende.

 Die lichten Baumkronen mitten im Sommer sind ein Zeichen dafür, dass es den Bäumen nicht gut geht. Die vergangenen Dürresommer machen auch Bäumen im Straelener Wald zu schaffen.

Die lichten Baumkronen mitten im Sommer sind ein Zeichen dafür, dass es den Bäumen nicht gut geht. Die vergangenen Dürresommer machen auch Bäumen im Straelener Wald zu schaffen.

Foto: Bianca Mokwa

Hinzu kommt das Risiko bei Neupflanzungen im Wald, dass die Jungpflanzen in trockenen Frühjahren verdorren oder in strengeren Wintern erfrieren. „Man muss alle Optionen prüfen“, lautet Freiherr von Elverfeldts Devise. Wenn Deutschland ab 2021 eine CO2-Steuer erhebe, müsste man die eigentlich an die Waldbesitzer weitergeben. „Das fordern wir“, sagt der Bundesvorsitzende. Dazu gebe es bereits eine Arbeitsgruppe. Denn der Wald sei der größte Klimasenker und leide gleichzeitig am meisten. Dort wäre das Geld gut angelegt und diene damit auch noch der Allgemeinheit, die Wälder gerne für Sport und Freizeit nutze. Das habe die Corona-Krise besonders gezeigt.

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort