Gelderland Der Unterschied zwischen arm und elend

Gelderland · Nach 25 Jahren ist für Heribert Hölz von der Bosnienhilfe nicht Schluss. Die politische Lage im südosteuropäischen Land ist auch 22 Jahre nach dem Krieg kritisch. Hölz bittet am ganzen Niederrhein um Hilfe zur Selbsthilfe.

 Für diesen Mann aus Visoko bedeuten drei Schafe Reichtum. Sie liefern Milch, der Nachwuchs kann verkauft werden, um den Lebensunterhalt der Familie zu sichern.

Für diesen Mann aus Visoko bedeuten drei Schafe Reichtum. Sie liefern Milch, der Nachwuchs kann verkauft werden, um den Lebensunterhalt der Familie zu sichern.

Foto: Heribert Hölz

Während seiner 25 Jahre bei der Bosnienhilfe hat Heribert Hölz schon viel erlebt. Trotzdem gerät er, als er von seiner jüngsten Begegnung erzählt, fast ins Stocken. Und das passiert dem 74-Jährigen recht selten. Bevor er von seiner 86. Reise nach Bosnien erzählt, muss er erst einmal etwas klarstellen. Denn oft wird er auf seine Bosnienhilfe angesprochen. "Herr Hölz", sagen dann die Leute zu ihm, "Ihr Engagement in allen Ehren, aber wir haben doch ganz andere Probleme." Auch in Deutschland gebe es arme Menschen.

 Diese Hütte ist das Zuhause einer Frau in Bosnien, die Heribert Hölz auf seiner Tour durchs Land besucht hat. Fotos (2): Heribert

Diese Hütte ist das Zuhause einer Frau in Bosnien, die Heribert Hölz auf seiner Tour durchs Land besucht hat. Fotos (2): Heribert

Foto: Hölz

"Als wenn ich das nicht wüsste", sagt Hölz. Er war bis zur Pensionierung für den Caritasverband in Duisburg tätig. "Ich habe immer mit Menschen zu tun gehabt, die auf der Schattenseite des Lebens stehen", sagt er und kontert: "Definieren Sie den Unterschied zwischen arm und elend."

Und dann erzählt er vom Schicksal des Mannes, der in Visoko wohnt, etwa 30 Kilometer von Sarajevo entfernt. "Das ist 'ne Nummer", sagt er noch. Er fuhr zu dem Mann, ohne Anmeldung. "Telefon, Handy haben die nicht, das sind arme Leute." Dann trifft er auf den 57-Jährigen. "Kaum Zähne im Mund", sagt er, nicht, um despektierlich zu sein, sondern um zu beschreiben, wie es da ist.

Der Mann wohnt zusammen mit seiner 87-jährigen Mutter, dem schwerstbehinderten Sohn, Mutter und Tochter in einer Hütte. Für mediales Aufsehen in seiner Heimat sorgte der Mann, weil er im Wald Holz zum Heizen geklaut hatte. "Die leben von 200 Euro im Monat", sagt Hölz. Aber auch das Holz zum Heizen kostet Geld. "Selbstverständlich hat er keine Arbeit, nur ab und zu eine Gelegenheitsarbeit." Die Arbeitslosenquote beträgt in Bosnien 70 Prozent, 60 Prozent Jugendarbeitslosigkeit. "Die jungen Leute hauen alle ab", sagt Hölz wissend. Auch wenn der Bosnienkrieg, der von 1992 bis 1995 dauerte, lange zurückzuliegen scheint, erholt hat sich das Land nicht. "Es wird weiter Krieg geführt, nur nicht mit Waffen", sagt Hölz. Serben, Bosniaken und Kroaten finden nicht zueinander, auch nicht in der Politik. "Es gibt Landstriche, die sind total kaputt, Schulen, die nicht wieder aufgebaut wurden, Dörfer, die in Schutt und Asche liegen und in denen dann 20 alte Leute leben", zählt Hölz auf, was er sieht, wenn er auf seiner Tour durch Bosnien ist. Auf der anderen Seite ist da Sarajevo, die internationale Stadt. Alles ist neu gebaut. Die Stadt strotzt so von Stahl, Beton und Glas. "Aber gehen Sie mal in die Seitenstraßen", sagt Hölz. Oder aufs Land.

Zurück zu der Familie, in der Hütte, mit dem Mann ohne Arbeit. Ein Unwetter hat das Häuschen schwer erwischt, Wasserleitungen, mussten erneuert werden. Normalerweise hat Hölz eine Kuh oder Schafe dabei. "Hilfe zur Selbsthilfe" nennt er das. Reparaturen lassen sich aber schlecht mit Schafmilch bezahlen. Im Fall dieser Familie legt er sechs 50-Euro-Scheine auf den Tisch, Spenden der Bosnienhilfe. "Da kamen die Tränen", sagt er über die Reaktion des Bosniaken, und auch seine Stimme wird für einen Moment brüchig.

Er wird im September wieder hinfahren. Schafe hat die Familie auch bekommen, aber nur drei. Normalerweise bekommen die Familien fünf Muttertiere und einen Bock, damit Nachwuchs garantiert ist. Ein Muttertier kostet 130, ein Bock 150 Euro. Hölz wird mit der Bosnienhilfe weiter Geld sammeln. Und dann lässt er jede Menge Lob vom Stapel über die Menschen, die dafür sorgen, dass er helfen kann. Das sind die Menschen vom Niederrhein, die vielen kleinen Spender. Es geht ihm nicht darum, die Welt zu retten. "Aber wenn in Bosnien keiner mehr was tut, dann sind einige Menschen um eine Hoffnung ärmer."

(RP)
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