Kleve Der Tag danach: Wahl-Schock sitzt tief

Kleve · Für Wahlsieger Stefan Rouenhoff (CDU) beginnt Dienstag die Arbeit in Berlin, SPD-Umweltministerin Barbara Hendricks bleibt während der Koalitionsverhandlungen noch geschäftsführend im Amt. AfD im Kreis nur halb so stark wie im Bund.

Dienstagmorgen um 5.36 Uhr steigt der neue Kreis-Klever-Bundestagsabgeordnete in den Zug Richtung Berlin. Stefan Rouenhoff, CDU-Mann aus Goch, erlebt an diesem Dienstag seine ersten Sitzungen mit der CDU-Landesgruppe und der Bundestagsfraktion. Viel Zeit zum Feiern blieb zuvor nicht - und die Stimmung passte auch nicht so recht dazu.

Eine rauschende Party sieht anders aus, aber es sei durchaus "schön" gewesen im Klever Kolpinghaus, wo sich am Sonntagabend die CDU traf, um ihrem Spitzenkandidaten Stefan Rouenhoff zum Einzug in den Bundestag zu gratulieren. Günther Bergmann, der Kreisvorsitzende der CDU, ging gegen 22 Uhr nach Hause. "Da waren noch etwa 60 Leute da, darunter eine ganze Menge Gocher." Der Wahlgewinner selbst zog sich nur wenig später ebenfalls zurück, um den Abend mit Freunden ausklingen zu lassen.

Rouenhoff und seinen Mitstreitern von der CDU (wie auch allen übrigen demokratischen Politikern) war der Schrecken in die Glieder gefahren: 12,6 Prozent bundesweit für die AfD, im Kreis Kleve immerhin 6,6 Prozent - das schockiert auch am Tag danach. Dennoch: 45 Prozent bei den Erststimmen für den 38-jährigen Gocher sind ein sehr starkes Ergebnis, zumal bei den Zweitstimmen nur 41,5 Prozent zustande kamen. "Das ist bei uns immer so, dass die Erststimmen stärker sind", sagt Parteichef Bergmann. "Die Leute wählen taktischer und geben nicht mehr automatisch beide Stimmen einer Partei." Dass die CDU im Kreis nach wie vor deutlich stärker ist als im Bund (32,5 Prozent) habe zur Folge, dass die AfD "nur" 6,6 Prozent bekam, während es bundesweit fast 13 Prozent waren. "Wir Christdemokraten decken in unserer ländlich strukturierten Region das ganze CDU-Spektrum von konservativ bis liberal ab; da bleibt nicht viel für den rechten Rand", sagt Bergmann.

Mit Blick auf die Verhandlungen in Berlin sorge er sich: "Deutschland muss aufpassen, dass es nicht unregierbar wird." Weil sich die SPD "verweigere", sei nur noch eine Variante denkbar - "Jamaika" mit einer Koalition aus CDU, FDP und Grünen. Rouenhoff sagt auch, dass die Verhandlungen "nicht einfach" werden, "aber es wird eine Koalition der Vernunft sein". Und auf der Seite der "Vernünftigen" wird er, der CDU-Vorsitzende aus Goch, mitarbeiten. Möglichst in Bereichen, die ihm als Diplom-Volkswirt nahe liegen. Aber Rouenhoff weiß, dass die Bürger am Niederrhein mehr als Sachkompetenz in puncto Wirtschaft von ihm erwarten. "Die Themen, über die ich im Wahlkampf gesprochen habe, werde ich auch weiterhin verfolgen: die medizinische Versorgung auf dem Land, den Bürokratieabbau, die Infrastruktur."

Der neue Bundestagsabgeordnete des Kreises Kleve wird in Berlin und in Goch wohnen. In der Hauptstadt hat er aus der Zeit, als er im Wirtschaftsministerium arbeitete, noch eine (zuletzt untervermietete) Wohnung. Seinen Wählern verspricht er, dass er "mit vollem Einsatz für den Niederrhein" arbeiten und so viel wie möglich vor Ort sein werde. "Das werden herausfordernde Jahre für mich", sagt er.

Prof. Ralf Klapdor, der FDP-Bewerber, war gestern schon wieder an seinem Arbeitsplatz an der Klever Hochschule. Dass seine Partei bei den Zweitstimmen 13,5 Prozent einfuhr, er selbst nur 7,6 Prozent bekam, hänge damit zusammen, dass der Wahlkampf (auch medial) auf die Vertreter der beiden größeren Parteien zugespitzt gewesen sei. Mit Blick auf Berlin sei abzuwarten, ob die SPD bei ihrem kategorischen "Nein" bleibe und wie es gelingen könne, eine arbeitsfähige Regierung zu bilden. Mit der AfD im Kreis (ein Kreistagsmitglied) werde er sich erst näher auseinandersetzen, wenn sie mit Inhalten von sich reden mache. Das sei bisher nicht der Fall.

Die zum siebten Mal in Folge dem CDU-Kandidaten im Kreis Kleve unterlegene Barbara Hendricks stand am Wahlabend sichtlich schockiert und mitgenommen neben dem SPD-Kanzlerkandidaten Martin Schulz, als der vor laufenden Fernsehkameras verkündete, in die Opposition gehen zu wollen. Ihr Aussehen war freilich dem Abschneiden der AfD geschuldet und nicht ihrem eigenen Resultat: "Persönlich kann ich mit dem Ergebnis umgehen. Mir war zuletzt klar, dass ich gegen den Bundestrend nicht ankommen kann", zeigte sich die SPD-Politikerin mit den 30,6 Prozent der Erststimmen (gegen 45 Prozent für Rouenhoff) zufrieden, lag sie damit doch meilenweit vor dem Bundesergebnis der SPD. "Aber das konnte nicht reichen", sagt sie in der Rückschau.

Bis auf Weiteres bleibt die 65-Jährige als Bundesumweltministerin geschäftsführend in der Regierung, die erst dann aufgelöst wird, wenn die "Jamaika"-Koalitionsverhandlungen beendet sind. "Ich schätze, kurz vor Weihnachten", sagt Hendricks. Für die künftige Arbeit im Bundestag sagt sie jetzt schon voraus: "Im Parlament wird es schwer, mit den neuen Kräften umzugehen. Wir müssen sie korrekt behandeln, aber auch darauf achten, dass die Regeln der Geschäftsordnung eingehalten werden."

(RP)
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