Straelen Der Mann für Grass und Herta Müller

Straelen · Alexandru Al. Sahighian hat einige der Großen der deutschsprachigen Literatur in seine Heimatsprache übersetzt. Kein einfacher Markt in Rumänien. Für drei Monate ist er "Translator in Residence" in Straelen.

 Der rumänische Übersetzer Alexandru Al. Sahighian zeigt ein Buch von Herta Müller, das er in seine Heimatsprache übertragen hat.

Der rumänische Übersetzer Alexandru Al. Sahighian zeigt ein Buch von Herta Müller, das er in seine Heimatsprache übertragen hat.

Foto: Seybert

Eigentlich könnte sich Alexandru Al. Sahighian entspannt zurücklehnen. Er hat das richtige Alter dafür, ist 65 und seit anderthalb Jahren im Ruhestand. Aber doch nicht so ganz. Für drei Monate ist er als "Translator in Residence" im Europäischen Übersetzerkollegium (EÜK) in Straelen. "Die Sache ist die, ich beschäftige mich am liebsten mit Übersetzungen", sagt Sahighian. "Aber das ist ein Beruf, der in Rumänien nicht existiert."

Er nennt es einen Sonntagsberuf, von dem man sich in seiner Heimat nicht erlauben könne zu leben. Deswegen übersetzte er nachts die Texte von Friedrich Nietzsche, Marcel Reich-Ranicki oder auch der Literaturnobelpreisträgerin Herta Müller. Fürs Geldverdienen hatte er immer einen Hauptberuf. Zunächst war er von 1977 bis 1994 Redakteur der Zeitschrift "Secolul 20", was soviel bedeutet wie das 20. Jahrhundert. Von 1994 bis 2009 war er Redakteur bei "Lettre International", der Zeitung für Kultur in Europa. Als Flaggschiff gilt die deutsche Ausgabe aus Berlin. Die letzten Jahre bis zum Ruhestand arbeitete er als Dramaturg am Jüdischen Staatstheater in Bukarest. Dass er selbst Halbjude sei, habe für seine Arbeit am Staatstheater keine Bewandtnis gehabt. "Übrigens spreche ich kein Jiddisch", sagt der Übersetzer. Er habe als Dramaturg in der Zeit viel dazu gelernt. Denn immer noch werde ein Teil der Aufführungen am Jüdischen Staatstheater in Jiddisch gespielt. Was ihm aber zugute kam, sind seine Kenntnisse der deutschen Sprache. "Das Jiddische ist letztendlich ein Dialekt", sagt der 65-Jährige.

Seine Mutter, die aus der Region Moldau stammt, hatte einen Hang zur deutschen Sprache. Vermutlich war das der Grund, warum Sahighian in den einzigen deutschen Kindergarten in Bukarest geschickt wurde und später auf die deutsche Schule. Er studierte Germanistik. "In Rumänien steht es leider schlecht mit der deutschen Literatur. Sie gilt als schwierig", erklärt der Übersetzer sein Dilemma. Die Verleger sagen, dass die Leser amerikanische Belletristik, leichte, flotte Romane vorzögen.

Dennoch hat Sahighian nicht aufgehört, Verlegern seine Lieblinge schmackhaft zu machen. Die sind schon für deutsche Leser alles andere als leichte Kost, und für den Übersetzer auch nicht. "Die Lewitscharoff, das war ein harter Brocken", sagt Sahighian und lächelt sanft. Bevor er nach Straelen kam, hat er ihr Buch "Apostoloff" übersetzt. "Es ist so eine Art bulgarische Familiengeschichte", beginnt der Übersetzer seine Beschreibung. "Sie schimpft ganz herrlich auf Bulgarien." Und es gebe eine ganze Menge Sachen, die passten auch haargenau auf die Rumänen. "Bitte, ihr habt hier eine Herta Müller, nicht im Sinne des Schriftstellerischen, aber sie ist so kritisch", hatte er Sibylle Lewitscharoff den Verlagen angepriesen.

Herta Müller "arbeitet so präzise mit der Sprache, furchtbar präzise", sagt Sahighian. Und was sie schreibt, das sei so kollossal einprägsam. Er muss es wissen, mehrere ihrer Bücher hat er schon ins Rumänische übertragen, unter anderem "Atemschaukel". Grass, das sei noch so einer gewesen, der seinen Übersetzern genau auf die Finger schaute. "Grimms Wörter" erschien 2013 im rumänischen Buchhandel. Übersetzt hat Sahighian aber nicht nur die schweren Brocken, sondern auch Kinderbücher, etwa "Eine Woche voller Samstage". Autor Paul Maar schätzt er, "weil er sehr kreativ mit der Sprache umgeht und Wortspiele besonders liebt". Das sei auch anregend für den Übersetzer. Wieder dieses sanfte Lächeln.

Mit dem Ruhestand kann sich Sahighian endlich erlauben, das zu tun, was er am liebsten macht: übersetzen. Wenn das Alter nicht wäre. "Ich mochte es immer, sehr früh am Morgen aufzustehen und bis zum späten Abend zu übersetzen. Ich saß zwölf, auch 14 Stunden", sagt der 65-Jährige. "Aber mit dem Alter merkt man die Grenzen." Als er dann aber zugibt, dass er bisher noch nicht einmal die Zeit hatte, in Straelen Zeitung zu lesen, merkt man, dass es für ihn einfach nichts Schöneres gibt, als in die Weiten der deutschen und rumänischen Sprache abzutauchen. "In Straelen, ja, da lässt sich auch so wunderbar arbeiten."

(RP)
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