Geldern Das Ziel: Brillante Inszenierungen

Geldern · Theaterwerkstatt Haus Freudenberg arbeitet mit Menschen mit und ohne Behinderung. Ein Blick hinter die Kulissen.

Was vor geschätzten 15 Jahren mit einer eher schlichten Beschäftigungsmaßnahme für Menschen in einer Behindertenwerkstatt begann, ist längst kein Geheimtipp mehr. Die Rede ist von der Theaterwerkstatt Haus Freudenberg. Die Arbeit von Anna Zimmermann-Hacks verträgt einen Vergleich mit den Vorgängen in einer Diamantenschleiferei.

Rohdiamanten erscheinen vor dem Schleifen glanzlos, rau und sogar unscheinbar. Um aus ungeschliffenen Rohdiamanten kostbare Brillanten zu machen, werden sie für den passenden Schliff genau unter die Lupe genommen. Ihre Brillanz, ihr einzigartiges Feuer, wird durch einen sehr sorgfältigen Schliff der einzelnen Facetten hervorgebracht - und genau das passiert in der Theaterwerkstatt.

Die Theaterwerkstatt ist eine bunt zusammengewürfelte, ständig variierende Truppe aus behinderten und nicht behinderten Menschen. Es gibt Mitglieder zwischen elf und 69 Jahren, dazu gehören Autisten und Schichtarbeiter, Eltern und Jugendliche, Menschen mit Down-Syndrom, Beamte, geistig Behinderte, Handwerker, ungezählte stille Helfer - und genau dieser "Gemischtwarenladen" macht die Theaterwerkstatt so einzigartig.

Im Moment wird fleißig geprobt. Shakespeare steht auf dem Programm: "Viel Lärm um Nichts". Die Schauspieler tragen schon ihre Kostüme, der Text sitzt - meistens. Zum Glück hilft die Souffleuse mit dem richtigen Stichwort. Faszinierend ist, wie diszipliniert sich alle auf die Darsteller auf der Bühne konzentrieren. Wo vorher noch gescherzt und gefrotzelt wurde, gilt jetzt alle Aufmerksamkeit dem Stück. Die Schreinerwerkstatt von Haus Freudenberg verwandelt sich in ein richtiges Theater.

Die Theaterwerkstatt steht für gegenseitige Akzeptanz, Wertschätzung und Respekt, sie steht für das Verfolgen und Erreichen eines gemeinsamen Ziels. Unzählige Kleinigkeiten werden am Schluss zu einer Vorstellung, die wie aus einem Guss erscheint und nichts von den Mühen im Vorfeld verrät. Felix Pickers, Mitarbeiter und ein Mann der allerersten Stunde, sagt: "Inklusion war irgendwann mal ein Modewort und in aller Munde. Da war Inklusion für uns schon lange kein Thema mehr. Die hatte sich verselbstständigt und wurde für uns als erledigt betrachtet, ohne Wenn und Gelaber." Der wahre Charakter der Theaterwerkstatt, die wahren Fähigkeiten des Projektes bleiben dem breiten Publikum verborgen. Von den Menschen im Ensemble wird nichts verlangt, was sie nicht können, aber das, was erreichbar ist, soll auch erreicht werden. Da setzen die außergewöhnlichen Fähigkeiten der "Diamantenschleiferin" Anna Zimmermann-Hacks, ein. Die Regisseurin erkennt die Facetten jedes einzelnen, weiß, wie mit dem richtigen Schliff das einzigartige Funkeln zu entfachen ist - findet die passende Ansprache.

Diamantenschleifen ist eine komplexe, zeitaufwendige Kunst, die in zahlreichen Schritten durchgeführt werden muss und bei der nichts dem Zufall überlassen wird. Bei Theaterproben ist das ähnlich. "Ich möchte kein Theater für Behinderte machen", erklärt Anna, wie sie von allen schätzend genannt wird, "ich möchte Theater für Menschen machen." Und sie wird noch präziser: "Ich will kein gut gemeintes, sondern gut gemachtes Theater bieten."

Wer Anna kennt, weiß, dass sie nichts dem Zufall überlässt - Präzision bedeutet Disziplin und Zuverlässigkeit; Inhalte werden auf einer emotionalen Ebene durch eine perfekte Synchronisation von Sprache, Musik und Bild transportiert. Und irgendwann öffnet sich der Vorhang und da ist er - der magische Moment. Die Schauspieler halten inne, die Zuschauer die Luft an. Alle im Raum spüren: "Hier passiert gerade etwas Fantastisches", der Funke springt über und in einem Moment der Sekunde wird das Spiel zur Realität und die Akteure wie Zuschauer atmen gemeinsam. Diese wahrhaft magischen Momente lassen sich mit nichts vergleichen.

(ütz)
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