Interview Klaus Fahrenholz Ängste der Lehrer sind nachvollziehbar

Geldern · An zwei Grundschulen sind Kinder mit speziellem Förderbedarf abgelehnt worden. Klaus Fahrenholz, Leiter der Albert-Schweitzer-Schule, versteht das nicht. Er bietet anderen Schulen und der Politik einen Erfahrungsaustausch an.

 Klaus Fahrenholz leitet die Albert-Schweitzer-Schule in Geldern.

Klaus Fahrenholz leitet die Albert-Schweitzer-Schule in Geldern.

Foto: Seybert

Herr Fahrenholz, wie halten die Lehrer an der Albert-Schweitzer-Schule es eigentlich mit Kindern aus, die Wutanfälle bekommen, schreien und spucken?

Fahrenholz Als wir gehört haben, dass sich Schuldezernent Helmut Holla so über Kinder mit emotionalem und sozialem Förderbedarf geäußert hat, hat uns das auf die Palme gebracht. Dadurch entsteht ein falscher Eindruck von unserer Schule, der bei den Leuten hängen bleibt. Dagegen wehren wir uns. Neun unserer 168 Schüler haben diesen Förderbedarf. Deren Erscheinungsbild ist ganz unterschiedlich. Es gibt Kinder, die sehr schüchtern und in sich zurückgezogen sind, andere können nicht die ganze Zeit ruhig sitzen, oder sie reden ab und zu in den Unterricht herein. Nur wenige sind tatsächlich aggressiv, aber ein Kind, das mal wütend ist, gibt es an jeder Schule.

Dennoch haben zwei Grundschulen gerade die Aufnahme von Kindern für den Gemeinsamen Unterricht abgelehnt. Können Sie das verstehen?

Fahrenholz Nein, das kann ich nicht. Es war im Vorfeld schon sachlich falsch, dass die Stadt auf die Schulkonferenz-Beschlüsse reagiert hat. Die Schulen können diese Schüler nicht ablehnen. Schüler mit emotionalem und sozialem Förderschwerpunkt sollen an ihren Schulen verbleiben, so sieht es die Landesregierung vor

Die Schulleiter verweisen darauf, dass weder Schule noch Lehrer auf die Bedürfnisse der Förderkinder vorbereitet sind.

Fahrenholz Die Ängste der Lehrer sind nachvollziehbar. Es fehlt an einer durchgängigen Hilfe für Grundschullehrer, wie man mit solchen Problemen umgeht. Aber diese Ängste hat es bei uns auch gegeben. Wir sind vor einigen Jahren ins kalte Wasser geschmissen worden und haben gelernt, mit den Problemen umzugehen. Der Umgang mit Kindern ist unser tägliches Brot, da kann sich kein Lehrer gegen wehren. Da geht es einfach nicht, dass ein Lehrer sagt, dass er das nicht kann. Alle Lehrer müssen nach den Richtlinien individuell fördern.

Stoßen Sie und Ihre Kollegen dennoch manchmal an Grenzen?

Fahrenholz Ja, denn wir sind keine Therapeuten, sondern als Grundschullehrer ausgebildet. Aber da wir ein Team sind, können wir Probleme gemeinsam besprechen und uns gegenseitig Hilfe geben.

Zu diesem Team gehört immerhin auch eine Sonderpädagogin.

Fahrenholz Das stimmt, aber deren Stunden reichen nicht aus, um alle Kinder mit Förderbedarf durchgängig zu betreuen. Sie kommt dann stundenweise in die Klassen. Davon profitieren übrigens alle Kinder. Denn natürlich kümmert sie sich nicht nur um die Schüler mit speziellem Förderbedarf, sondern bemüht sich, wie der andere Lehrer auch, um alle Kinder. Wichtig ist da eine gute Absprache zwischen Lehrer und Sonderpädagogen. Wir sind übrigens auch gerne bereit, unsere Erfahrungen mit anderen Schulen zu teilen, zum Beispiel bei gegenseitigen Hospitationen. Wichtig ist, dass sich noch mehr Schulen auf den Weg machen. Das Gesetz zur Inklusion ist zwar noch nicht verabschiedet, aber die Kinder sind jetzt schon da.

Im Schulausschuss wurde die Sorge geäußert, dass Ihre Schule einen schlechten Ruf bekommt, wenn dort alle Förderkinder hingeschickt werden. Teilen Sie diese Sorge?

Fahrenholz Einige Eltern befürchten, dass ihre eigenen Kinder vielleicht zu wenig gefördert werden. Wir wissen um unsere gute und oft erfolgreiche Arbeit, wenn wir Kinder mit Förderbedarf unterrichten. Außerdem liegt ein Schwerpunkt unserer schulischen Arbeit auch in der Zusammenführung unterschiedlicher Kulturen, aus denen die Kinder stammen. So sind wir auch auf dem Weg, anerkannte Unesco-Schule zu werden.

Haben sich eigentlich die Mitglieder des Schulausschusses, die ja oft über Inklusion und Gemeinsamen Unterreicht diskutieren, mal bei Ihnen informiert?

Fahrenholz Nein, aus der Politik hat sich noch niemand hier informiert. Aber auch die Politiker sind, ebenso wie Herr Holla, jederzeit eingeladen, uns zu besuchen, damit wir zeigen können, was wir machen.

Warum haben Sie eigentlich nicht direkt im Schulausschuss Stellung bezogen? Sie waren ja an dem Abend anwesend...

Fahrenholz Leider dürfen wir Schulleiter das nicht, sonst hätte ich das gerne gemacht. Aber sollte der Schulausschuss Interesse daran haben, werde ich gerne, auch zusammen mit einer Kollegin, von unseren Erfahrungen im Gemeinsamen Unterricht berichten.

CHRISTIAN BREUER FÜHRTE DAS GESPRÄCH.

(RP)
Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort