Interview Moritz Körner Ein Fall wie Amri darf sich nicht wiederholen

Kreis Mettmann/Düsseldorf · Der FDP-Obmann im Untersuchungsausschuss des Landtags sieht Fortschritte bei der politischen Aufarbeitung des Attentats.

 Der Langenfelder Landtagsabgeordnete Moritz Körner (27) ist einer der jüngsten Parlamentarier in Düsseldorf.	 Foto: Stenzel

Der Langenfelder Landtagsabgeordnete Moritz Körner (27) ist einer der jüngsten Parlamentarier in Düsseldorf. Foto: Stenzel

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Von Peter Clement

Es ist ein Tag, an dem Moritz Körners politisches Hauptthema die Nachrichten beherrscht: Wenige Stunden zuvor hat Bruno Jost, der Sonderermittler im Fall des Weihnachtsmarkt-Attentäters Anis Amri, im Untersuchungsausschuss des Deutschen Bundestages erklärt, er sei überzeugt, dass sich der verheerende Terroranschlag vom 19. Dezember 2016 in Berlin durch eine rechtzeitige Festnahme des Tunesiers hätte verhindern lassen. Angesichts einer Vielzahl von Delikten Amris wäre „ein Haftbefehl mittelfristig möglich gewesen“.

Körner sitzt an einem Tisch in der Landtags-Caféteria und blickt auf den Rhein. Der FDP-Abgeordnete für Hilden-Süd, Langenfeld und Monheim ist Obmann der Liberalen im Parlamentarischen Untersuchungsausschuss des Landtags im „Fall Amri“. Ein Fall, der ihn persönlich berührt und zu seiner ersten großen politischen Bewährungsprobe geworden ist, nachdem er 2017 als jüngster Abgeordneter ins Landesparlament gewählt wurde.

 Die Terroranschläge am 22. März 2016 in Brüssel erlebte Moritz Körner aus der Nähe.	 Foto: dpa

Die Terroranschläge am 22. März 2016 in Brüssel erlebte Moritz Körner aus der Nähe. Foto: dpa

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Herr Körner, der Berliner Sonderermittler im Fall Amri spricht wörtlich davon, es habe die Chance gegeben, „ihn an den Haken zu kriegen“. Das sei aber aus unterschiedlichen Gründen nicht geschehen. Können Sie uns sagen, welche Gründe dies sind?

Körner Da gibt es sicher nicht den einen, alles entscheidenden Grund. Wir haben es mit einem Versagen auf vielen Ebenen zu tun. Das wird auch deutlich, wenn ich gleich die Ergebnisse unserer Arbeit in unserem Landtags-Ausschuss aufzeige. Eine entscheidende Frage ist allerdings: Wie viel wussten die Geheimdienste und haben sie Einfluss genommen?

 Dezember 2016: Auf dem Weihnachtsmarkt am Breitscheidplatz in Berlin tötete der Attentäter Anis Amri mit einem Lastwagen mehrere Menschen.	 Foto: dpa

Dezember 2016: Auf dem Weihnachtsmarkt am Breitscheidplatz in Berlin tötete der Attentäter Anis Amri mit einem Lastwagen mehrere Menschen. Foto: dpa

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Wenn man die Berichte in den Medien verfolgt, kann man den Eindruck gewinnen, die Arbeit Ihres Ausschusses halte mit den immer neuen Enthüllungen nicht Schritt. Ist die Kritik berechtigt?

Körner Auf gar keinen Fall. Wir haben uns dazu entschlossen, nicht auf die Schnelle einen politisch Verantwortlichen zu suchen, sondern den Fall hier im Land chronologisch und lückenlos aufzuarbeiten. Das haben wir bisher auch getan, und zwar nicht erst ab dem Moment, in dem Amri über Baden-Württemberg zu uns ins Land gekommen ist.

Er war vorher in Italien . . .

Körner Genau. Im Oktober 2011 wurde er dort wegen versuchter Brandstiftung festgenommen und zu vier Jahren Gefängnis verurteilt. Wir haben Verbindungsbeamte des BKA aus Rom im Ausschuss befragt, auch um festzustellen, ob die Erkenntnisse von damals über Datenbanken bei uns hätten abgerufen werden können. Doch ein solcher Datenaustausch hat sich ja selbst innerhalb Deutschlands als schwierig erwiesen.

Inwiefern?

Körner Bei Amris Einreise in Baden-Württemberg wurden seine Handflächenabdrücke genommen. Da er in seiner Zeit in Deutschland allerdings bis zu 16 verschiedene Identitäten verwendete, wurde diese Möglichkeit des Datenabgleichs nicht weiter genutzt. Und das ist nur eine von zahllosen Pannen, die passiert sind.

Gab es für Sie besonders schwierige oder beeindruckende Momente Ihrer bisherigen Arbeit im Untersuchungsausschuss?

Körner Das war zweifellos die Befragung ehemaliger Mitbewohner in einer der Flüchtlingsunterkünfte, in denen Amri sich aufhielt. Wir haben Flüchtlinge befragt, die schockiert waren, nach ihrer Flucht vor dem sogenannten Islamischen Staat plötzlich im sicheren Deutschland wieder einem IS-Kämpfer gegenüberzustehen. Sie haben uns ihre Angst geschildert, unter anderem um Familienmitglieder, die zurückgeblieben sind und um deren Leben sie bei Konfrontation mit Anis Amri hätten fürchten müssen. Das ist uns, glaube ich, allen unter die Haut gegangen.

Wie geht es jetzt weiter?

Körner Nachdem wir jetzt viele Daten zusammengetragen haben, werden wir uns nach der parlamentarischen Sommerpause mit den Entscheidungsträgern beschäftigen. Für mich geht es dabei wie gesagt auch um die spannende Frage, welche Rolle die Geheimdienste in dieser Affäre spielen.

Ich dachte, das Versagen sei vor allem durch das mangelnde Zusammenspiel der Ausländerbehörden verursacht worden …

Körner Das stimmt nur sehr bedingt. Denn trotz aller Versäumnisse im Vorfeld wussten das Landeskriminalamt und die Berliner Behörden viele Monate vor dem Anschlag schon über die Gefahr Bescheid, die von Amri ausgehen könnte. Er wurde ja dann auch observiert, sein Handy ausgelesen – aber er wurde eben nicht gestoppt. Da kann man sich fragen: Wollte da jemand an eventuelle Hintermänner herankommen und den vermeintlichen kleinen Fisch laufen lassen? Wie dem auch sei: Es darf einfach nicht passieren, dass dieser kleine Fisch dann einen Lkw-Fahrer tötet, das Fahrzeug als Waffe nutzt und elf weitere Menschen auf einem Weihnachtsmarkt umbringt.

Was lässt Sie an den Geheimdiensten so zweifeln?

Körner Anis Amri war mehrfach Gesprächsgegenstand im Gemeinsamen Terrorabwehrzentrum (GTAZ) des Bundes und der Länder. Ich frage mich: Wenn ein Geheimdienst angesichts einer solch erdrückenden Faktenlage behauptet, man habe sich nicht vertieft mit dem Fall Amri beschäftigt, sagt er dann die Unwahrheit? Oder falls die Auskunft stimmt: Was bekommt er dann überhaupt noch mit?

Warum liegt Ihnen dieser Fall so am Herzen?

Körner Er hat einerseits das Sicherheitsgefühl der Deutschen bis ins Mark getroffen. Unsere Arbeit sollte hoffentlich dazu beitragen, dass Behörden wesentlich besser miteinander arbeiten, Daten früher abgeglichen werden und das Netz so engmaschig gezogen wird, dass ein solcher Fall in Zukunft nicht mehr vorkommen kann. Er hat für mich aber auch eine persönliche Dimension.

Wie sieht die aus?

Körner Als sich am 22. März 2016 ein Terrorist in der Brüsseler Innenstadt im U-Bahnhof Maalbeek/Maelbeek in die Luft sprengte, war ich Praktikant in der Nähe der benachbarten EU-Behörden. Ich weiß noch gut, wie wir aufgefordert wurden, uns weit von den Fenstern entfernt zu halten und das Gebäude nicht zu verlassen. Wir warteten dann auf unsere Kollegen, die mit der U-Bahn zur Arbeit kommen wollten. Zum Glück ist niemandem von ihnen etwas passiert, aber diese Stunden werde ich nie vergessen.

Hat dieses Erlebnis denn Ihr persönliches Sicherheitsempfinden verändert?

Körner Das hätte es bestimmt – wenn nicht mein damaliger Chef gewesen wäre. Der stand mit uns am nächsten Tag auf dem Weg zum Mittagessen vor einem Zebrastreifen, drehte sich plötzlich um und sagte: „Vergesst nie – statistisch gesehen ist die Gefahr, beim Überqueren dieser Straße getötet zu werden, ungleich höher, als bei einem Terroranschlag.“ Für mich heißt das: Wir müssen alles daran setzen, so einen Anschlag zu verhindern – aber in einer freiheitlichen Demokratie werden wir immer mit einem Restrisiko leben müssen. Das sollte uns aber nicht davon abhalten, unser Leben zu leben.

(peco)
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