Morde in Anwaltskanzleien "Ich entging dem Mörder nur durch Zufall"

Erkrath · Acht Monate nach dem Anschlag auf seine Kanzlei kehrt Rechtsanwalt Guido Wacker zurück. Er trauert um seine getötete Sekretärin.

Rechtsanwalt Guido Wacker war das eigentliche Ziel des Amokläufers. Momentan sitzt er an seinem Schreibtisch vor Umzugskartons. Der 44-Jährige hat seine Kanzlei in Erkrath-Unterfeldhaus behalten, doch ließ er die Räume renovieren.

Rechtsanwalt Guido Wacker war das eigentliche Ziel des Amokläufers. Momentan sitzt er an seinem Schreibtisch vor Umzugskartons. Der 44-Jährige hat seine Kanzlei in Erkrath-Unterfeldhaus behalten, doch ließ er die Räume renovieren.

Foto: Endermann, Andreas

Es riecht nach frischer Farbe, ein grauer Teppich ist ausgelegt, der Besprechungstisch steht bereits in Guido Wackers Zimmer. Die Kanzleiräume im Geschäftsviertel in Erkrath-Unterfeldhaus sind renoviert und neu - und doch sind es die alten. Die Zimmer der Rechtsanwaltskanzlei, in denen Guido Wacker wohl erschossen worden wäre, wenn ihn nicht an jenem Freitagvormittag im Februar ein Anruf von zu Hause erreicht hätte. Er musste einen Schrank abbauen. "Ich fuhr nach Hause, eine Viertelstunde bevor er kam", sagt der Rechtsanwalt. Er, das ist Yanqing T., der an diesem 28. Februar in einem Rachefeldzug drei Menschen in zwei Rechtsanwaltskanzleien in Düsseldorf und Erkrath getötet hat.

Der Grund: Frust über die von ihm beauftragten Anwälte wegen einer Verurteilung. "Ich sollte gegen meine Kollegen in Düsseldorf klagen", sagt Wacker. Er tat es nicht. "Ich habe befürchtet, dass er mir eine reinhauen will", erzählt Wacker. Aber töten? Mehr als sechs Monate nach der Tat ist er sich sicher: "Er wollte mich töten."

Nüchtern, realistisch ist er. Aber das war der 44-Jährige schon vor der Tat. Vielleicht hat er deshalb so scheinbar gut den 28. Februar überstanden. "Eine Nachbarin rief mich zuhause an und sagte, meine Kanzlei brennt", erzählt Wacker. Er fuhr zurück und konnte telefonisch niemanden in der Kanzlei erreichen. "Ein Brand, das kann ich jetzt gar nicht gebrauchen", dachte er sich damals. Vor dem Haus angekommen bekommt er nur langsam die Ausmaße des Verbrechens mit: Seine Sekretärin ist tot, sein im Rollstuhl sitzender Kompagnon vom Täter in den Bauch geschossen, die Praxis brennt. In den Tagen nach der Tat ist er mit so vielen Sachen beschäftigt, dass er manches mehr verdrängt als verinnerlicht. "Es musste ja weitergehen." Wacker ist angespannt, versucht, sich um alles zu kümmern - auch um die Familie seiner getöteten Mitarbeiterin. "Elf Jahre war sie bei uns. Ich war geschockt." Noch am Freitagabend besuchte er den Ehemann und die zwei Söhne. "Ich hatte für mich schon ein Schuldpotential gesehen", gibt er zu. Hätte er das Mandat nicht angenommen . . . Hätte, wenn und aber sind hinfällig. "Die Familie machte mir keinerlei Vorwürfe."

Doch Verantwortung sieht Guido Wacker in dem Augenblick nicht nur juristisch. Verantwortung geht ihm in diesem Tagen sehr nahe. Den ersten Freitag, den zweiten Freitag, den dritten Freitag nach der Tat: "Immer so kurz vor 12.35 Uhr, der Tatzeit, wurde ich nervös, spürte eine starke Anspannung." Trotzdem zwingt sich Wacker zu Disziplin. "Einige Gerichtstermine mussten wir verschieben. Am Donnerstag aber hatte ich schon wieder den ersten Termin: eine Scheidung." Als die Brandschäden in der Kanzlei in den folgenden Monaten beseitigt werden, lässt er aus Rücksicht auf die Mitarbeiter ungeklärt, ob die Kanzlei umziehen wird. Im Sommer dann die Entscheidung: "Ich wollte bleiben. Wir wären aber umgezogen, wenn es nur einer gewollt hätte." Niemand wollte.

Polizei zeigt die Waffen des Amokläufers
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Trotzdem ist es nach 14 Jahren ein Neuanfang in der Erkrather Kanzlei. Eine neue Sekretärin hat sich eingearbeitet. In gut zwei Wochen will man in die neuen, alten Räume wieder zurückziehen. Von den vielen Akten sind zum Glück nur ein paar verbrannt. Die meisten Unterlagen konnten gerettet werden. Die IT muss fertig installiert werden. "Wenn die Spülmaschine steht und wir Kaffeetassen waschen können, gehen wir endgültig wieder rein", sagt er grinsend. Das schelmische Grinsen von Guido Wacker ist aber nicht selten einer neuen Ernsthaftigkeit gewichen. "Manche Freunde sagen, ich sei seitdem restriktiver geworden." Wacker nimmt sich mehr Zeit für seine Kinder, kümmert sich heute intensiver um deren Bedürfnisse. "Wenn sie mich brauchen, müssen andere Dinge eben mal warten."

Andere aber müssen heute schon mal auf seine Hilfe verzichten. "Natürlich muss die Kanzlei wirtschaftlich funktionieren. Ich habe eine Verantwortung für meine Angestellten", sagt er. Doch wenn er bemerkt, dass Mandanten aggressiv und nicht von einer juristischen Notwendigkeit zu überzeugen sind, zieht er die Handbremse. "Wenn die Chemie nicht stimmt, sage ich jetzt auch schon mal Mandate ab."

Gewalt in Anwaltskanzleien
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Foto: dpa, jps htf

Ein Spagat zwischen Ökonomie und Wohlfühlen. Er setze Prioritäten, seit sich sein Leben am Freitag, 28. Februar, um 12.35 Uhr grundlegend verändert hat. Prioritäten, die auch mal vier Räder haben. "Ich habe mir nicht wie geplant nächstes Jahr, sondern schon jetzt ein neues Auto gekauft: einen Lotus." Ja, ein Spielzeug, gibt Wacker zu. Aber ein Leben, das an jenem Freitag eine Viertelstunde später, um 12.35 Uhr, vielleicht geendet hätte, will der Jurist nicht einfach weiterlaufen lassen, "auch wenn es ja weitergehen muss". In neuen, alten Räumen.

(RP)
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