Hochdahl Fabelhafter Nathan fesselt im Lokschuppen

Erkrath · Die Karten für das Gastspiel des Düsseldorfer Schauspielhauses waren schnell vergriffen. Die Erwartungen wurden nicht enttäuscht.

 Starke Bilder: Die Inszenierung von Robert Lehninger kombiniert Schauspiel und – sparsam dosiert – Video. Hier erinnert sich der Tempelherr (Jonas F. Leonhardi) an seine beinahe tödliche Konfrontation mit dem Sultan.

Starke Bilder: Die Inszenierung von Robert Lehninger kombiniert Schauspiel und – sparsam dosiert – Video. Hier erinnert sich der Tempelherr (Jonas F. Leonhardi) an seine beinahe tödliche Konfrontation mit dem Sultan.

Foto: Köhlen, Stephan (teph)

Für die Stadt Düsseldorf ist es natürlich ärgerlich, doch Theaterfreunde allerorten können dankbar sein, dass sich die Sanierung des Schauspielhauses so lange hinzieht. Sonst hätte es die raffinierten mobilen Inszenierungen vielleicht gar nicht gegeben, mit denen das Ensemble derzeit durch die Lande reist und Kirchen, Freizeitstätten und jetzt auch den Erkrather Lokschuppen beglückt.

Auf dem Spielplan stand mit Lessings „Nathan der Weise“ ein Klassiker, mit dem wohl immer noch jeder Oberstufenschüler vertraut gemacht wird. Im Publikum war diese Altersklasse allerdings nicht gerade prominent, wenn überhaupt, vertreten. Ein Jammer, denn das gut zweistündige Reiseformat bringt vieles mit sich, was dem Stück, das im Jerusalem des 12. Jahrhunderts spielt, neuen Schwung verleiht, es ins Hier und Jetzt zieht und Theaterlust weckt: räumliche Verdichtung und schnelle Szenenwechsel (durch rasch auf- und zugezupfte, transparente Vorhänge), Nähe zum Publikum, Einbindung vor- wie liveproduzierter Videoaufnahmen. Letzteres erfreulich maßvoll, also nicht auf „modern auf Teufel komm’ raus“ getrimmt, aber doch so konsequent und bildgewaltig, dass Kinofreunde sich an die Filme von Kultregisseur David Lynch erinnert fühlten.

Und Nathan trägt jetzt Anzug, die hinreißende Tochter Minirock, der launische Sultan Bademantel, Schlabberpulli oder Glitzerstrickjacke, die diplomatische Schwester Ledercorsage über züchtiger Verhüllung. Die Sprache bleibt jedoch, wie Lessing sie schuf, auch das Kernproblem wird nicht angetastet: Welche Religion die richtige, welches Volk das auserwählte sei, darum geht es nach wie vor. Und der Jude Nathan stellt immer noch unerschütterlich die Allmachtsansprüche der Religionen in Frage, preist stattdessen den vernünftigen Menschen.

Aber freundlich-gesellig kommt Jan Maak als Nathan mit Genussfreude signalisierender Leibesfülle daher. Kein Oberlehrer, sondern ein lebhafter Gesprächspartner und packender Erzähler, der seine Gegenspieler mit hohem rhetorischen Geschick konfrontiert und auch mal energisch wird, wenn es der Sache dient. Unbehaglich wird einem zumute, wenn man bedenkt, wie gegenwärtig das Thema und die Worte Lessings noch sind: „Wir haben beide uns unser Volk nicht auserlesen. Sind wir unser Volk? Was heißt denn Volk? Sind Christ und Jude eher Christ und Jude als Mensch? Ah! Wenn ich einen mehr in euch gefunden hätte, dem es genügt, ein Mensch zu heißen!“ Mehrere Hundert Jahre ist diese Botschaft nun schon in der Welt. Hat die Menschheit so wenig dazugelernt?

 Der Lokschuppen am Ziegeleiweg hat bei seiner Theaterpremiere überzeugt. Mit Gerüsten und Vorhängen wurden Bühnenräume geschaffen.

Der Lokschuppen am Ziegeleiweg hat bei seiner Theaterpremiere überzeugt. Mit Gerüsten und Vorhängen wurden Bühnenräume geschaffen.

Foto: Köhlen, Stephan (teph)
 Nach der Aufführung gab es noch eine angeregte Fragestunde mit Dramaturgin Beret Evensen (im roten Shirt) und den Schauspielern.

Nach der Aufführung gab es noch eine angeregte Fragestunde mit Dramaturgin Beret Evensen (im roten Shirt) und den Schauspielern.

Foto: Rolf Böning

Offenbar. So beschämend diese Erkenntnis auch ist – der Schlussapplaus für diese rundum fabelhafte Bühnen- und Ensembleleistung war in Erkrath zwar flächendeckend, hätte aber noch munterer ausfallen können. Ein interessiertes Grüppchen blieb noch zum Publikumsgespräch mit den Darstellern.

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