Justiz im Kreis Mettmann Panzerfaust-Räuber sucht die Freiheit

Kreis Mettmann · Er gehörte zur „Panzerfaust-Bande“, die über Jahre Überfälle auf Geldtransporter verübt hat. Joachim R., früher Mitarbeiter beim Tiefbauamt der Stadt Haan und 2017 Drahtzieher für den brutalen Raubüberfall auf einen Rentner am Hermann-Löns-Weg in Haan, wehrt sich gegen die vom Gericht verhängte Sicherungsverwahrung.

Am 31. Mai 2017 überfielen Räuber einen Pensionär in Haan, quälten den Senior über Stunden und zündeten dann das Einfamilienhaus an. Das Opfer überlebte nur knapp. Bei dieser Tat war der jetzt um seine Sicherungsverwahrung streitende Mann der Drahtzieher. Damals war R. noch Mitarbeiter des Haaner Tiefbauamtes.

Am 31. Mai 2017 überfielen Räuber einen Pensionär in Haan, quälten den Senior über Stunden und zündeten dann das Einfamilienhaus an. Das Opfer überlebte nur knapp. Bei dieser Tat war der jetzt um seine Sicherungsverwahrung streitende Mann der Drahtzieher. Damals war R. noch Mitarbeiter des Haaner Tiefbauamtes.

Foto: Alexandra Rüttgen

Er will unbedingt raus aus dem Knast. Möglichst bald, gerne schon nach der Zweidrittelstrafe. Das wäre bestenfalls in vier Jahren. Fünf der wegen der Raubüberfälle auf Geldtransporter – unter anderem in Erkrath und Wülfrath – verhängten 13 Jahre und sechs Monate hat Joachim R. schon abgesessen. Und das zu Unrecht, er sei ja gar nicht dabei gewesen. Die Komplizen hätten Unsinn erzählt – nur bei den Vorbereitungen habe er schon mal Hand angelegt. Aber den traumatisierten Fahrern der Geldtransporter über 15 Jahre hinweg eine Panzerfaust-Attrappe vors Gesicht gehalten und sich mit mehreren Millionen aus dem Staub gemacht? Das sei er nicht gewesen – und alles ein großes Missverständnis.

Schluss mit der Raub-Serie war 2012. Seine Frau und die Tochter waren mittlerweile bei den Zeugen Jehovas, irgendwann lief die Scheidung. Der Familienstreit scheint die kriminelle Karriere ausgebremst zu haben, die Schwester seiner Frau war die Ehefrau eines Mittäters. Die Männer gerieten aneinander, für Joachim R. blieb finanziell nur noch das, was er als Kanalarbeiter verdiente. Fünf Jahre später, so der psychiatrische Gutachter, könnte ihm das zu wenig gewesen sein. Der Mann soll Gleichgesinnte um sich geschart haben, um im Mai 2017 einen Pensionär auszurauben. Der damals 82-Jährige aus Haan war über Stunden hinweg unfassbaren Qualen ausgesetzt und überlebte nur knapp. Damals nicht weit vom Tatort entfernt und die Komplizen via Handy mit Anweisungen versorgend: Joachim R., der sich nun erneut vor dem Hagener Landgericht gegen die verhängte Sicherungsverwahrung wehrt. Der Bundesgerichtshof hatte diese Frage zur Neuverhandlung zurückverwiesen.

Der Prozess hatte im vergangenen Herbst begonnen, wegen der Corona-Erkrankung eines Prozessbeteiligten konnten die Fristen nicht eingehalten werden. Kurz vor der Urteilsverkündung wurde er ausgesetzt, da hatte Joachim R. dem Richter schon einiges erzählt. Keinesfalls wolle er weitere zwei Jahrzehnte hinter Gittern verbringen. Das sei auch ganz unpraktisch, weil er sich so – aus medizinischen Gründen – für Untersuchungen jenseits der Haftanstalt immer für einen ganzen Tag vom Küchendienst abmelden müsse. Schlimm sei auch gewesen, dass er nicht habe in die Kirche gehen können, als man ihn unsinnigerweise einer geplanten Flucht aus der JVA mit Geiselnahme verdächtigt habe.

All das hat Joachim R. dem psychiatrischen Gutachter erzählt und man wurde einen Eindruck nicht los: Der Mann ist ein Märchen-Onkel mit dem Hang, sich als „Unschuld vom Lande“ zu präsentieren. Der Sachverständige hatte ihm Fragebögen vorgelegt, um seinen Hang zu Straftaten beurteilen zu können. Am Ende sei herausgekommen: Joachim R. ist sozial verantwortlich, hilfsbereit und mitmenschlich. Da war einem als Prozessbeobachter längst die Kinnlade heruntergefallen – und auch der Gutachter stellte fest: „Es gibt eine eingeschränkte Validität des Antwortverhaltens.“

Im Klartext heißt das: Der Mann lügt wie gedruckt. Eigentlich wäre das der Moment gewesen, an dem man das Gespräch mit ihm hätte gleich beenden können. So einfach darf es sich ein Sachverständiger nicht machen, und der Angeklagte darf lügen. Am Ende geht es um den kriminellen Hang und die Frage, ob die Sicherungsverwahrung aus psychiatrischer Sicht begründet werden kann. Der Gutachter: „Es gibt keine Hinweise auf einen antisozialen Denkstil.“ Joachim R. habe ein unauffälliges und sozial angepasstes Leben geführt. „Die Phasen der Delinquenz müssen gegenüber unauffälligen Lebensphasen überwiegen.“ Man denkt: Über fünfzehn Jahre hinweg Geldtransporter überfallen und dann ein brutaler Überfall auf einen Menschen – genügt das nicht? Nein, aus gutachterlicher Sicht nicht. Die Panzerfaust-Bande habe nur etwa einmal im Jahr zugeschlagen, dazwischen sei Joachim R. unauffällig gewesen.

Das Dilemma: Der Gutachter kann nur das beurteilen, was er gesagt bekommt. Er darf nicht von den kriminellen Taten auf die Persönlichkeit schließen. Ob es in den fünf Jahren zwischen dem letzten Geldtransporter-Raub und dem Überfall auf den 82-Jährigen weitere Taten gab, die unentdeckt geblieben sind? Man weiß es nicht. Deshalb bleibt die sprichwörtliche Weste rein – und Joachim R. ohne kriminellen Hang. Aus psychiatrischer Sicht lässt sich eine Sicherungsverwahrung nicht begründen. Ob sich das Gericht dieser Einschätzung anschließen wird, bleibt abzuwarten. Am 1. Dezember wird nun am Hagener Landgericht erneut verhandelt, die Kammer hat bis Mitte Januar sieben Verhandlungstage festgesetzt.

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