Umsiedlung in Keyenberg Kaffeeplausch zwischen alter und neuer Heimat

Keyenberg · Keyenberg muss dem Braunkohlentagebau weichen. Beim Seniorennachmittag treffen Keyenberger, die bisher geblieben sind, auf frühere Nachbarn, die schon weggezogen sind.

 Organisatorin Agnes Maibaum (stehend) im Gespräch mit der ältesten Besucherin des Seniorennachmittags, Magdalene Corsten (91).

Organisatorin Agnes Maibaum (stehend) im Gespräch mit der ältesten Besucherin des Seniorennachmittags, Magdalene Corsten (91).

Foto: Laaser, Jürgen (jl)

Die Straße, die zu seinem alten Haus führt, meidet er. Zu sehr schmerzt ihn, was er dort sieht. „Jetzt ist alles verwildert. Kein schöner Anblick“, sagt Rentner Walter Behrendt leise. Lieber fährt er einen Umweg.

Der Rheydter (69), der im Alter von 30 Jahren die eigenen vier Wände kaufte und nach seinen Vorstellungen umbaute, hat seinem langjährigen Wohnort Keyenberg schon im Februar 2018 den Rücken gekehrt. „Wir wollten nicht dabei zusehen, wie das Dorf langsam stirbt. Lieber sind wir vorher weggegangen. Zwei, drei Jahre hätten wir noch bleiben können.“ Bei Rath-Anhoven hat das Ehepaar im neuen Keyenberg neu gebaut, sich arrangiert mit dem Braunkohle-Tagebau, der ihnen das Zuhause weggenommen hat.

Zum Seniorennachmittag, den Agnes Maibaum als Vorsitzende des Ortsausschusses der Pfarre Heiligkreuz innerhalb der Gemeinschaft der Gemeinden (GdG) Christkönig Erkelenz einmal im Jahr organisiert, ist Behrendt zum ersten Mal erschienen. Ehefrau Erika will später nachkommen. „Im vergangenen Jahr hatten wir keine Zeit, weil wir mitten im Umzug steckten“, erzählt der gelernte Autoschlosser, der später zum Funkelektroniker umsattelte. Und beschreibt den ganzen Stolz seines alten Gartens, einen 35 Jahre alten Weinstock, den er mal aus dem Urlaub in Heidelberg mitbrachte. Verpflanzen ließ er sich nicht, weil die Wurzeln viele Meter tief in der Erde verwachsen sind. Erinnerungen an glückliche Tage im alten Keyenberg, als Walter Behrendt zwei Zentner Trauben im Jahr erntete und fast das ganze Dorf süße Marmelade davon einkochte. Heute ist der Garten unansehnlich, der zurückgelassene Blaue Portugieser trägt keine Früchte mehr. Die große Garage, in der er seine Oldtimer unterstellte – zerstört.

Das Angebot des Seniorennachmittags richtet sich an ältere Menschen ab 65, die in Keyenberg, Berverath, Oberwestrich oder Unterwestrich wohnen oder gewohnt haben. Organisatorin Agnes Maibaum verteilt Adresslisten an den langen Tischen in der Keyenberger Mehrzweckhalle. Um auch die zu erreichen, die schon weggezogen sind – per Post oder per E-Mail.

Magdalene Corsten, 91, ist geblieben. Ihr Mann ist seit ein paar Jahren tot. Die Kuckumerin wohnt schon so lange in Oberwestrich, betrieb hier eigene Landwirtschaft mit ihrem verstorbenen Ehemann. Den Hof aufgeben, die Heimat verlassen, umziehen mit fast 92 Jahren – Magdalene Corsten mag lieber nicht daran denken. Beim jährlichen Seniorentreff diese düsteren Gedanken für eine kurze Zeit vergessen. Ein paar unbeschwerte Stunden im Kreise der langjährigen Nachbarn, Bekannten und Freunde verbringen.

Auch Pfarrer Werner Rombach als GdG-Leiter und der stellvertretende Erkelenzer Bürgermeister Walter von der Forst sind zum Seniorennachmittag nach Keyenberg gekommen. Es gibt Obstkuchen, Frankfurter Kranz und belegte Brötchen. „Solange wir keine neue Halle oder ein Pfarrheim haben, wird die Veranstaltung hier stattfinden. Wir bleiben, solange es möglich ist“, sagt Agnes Maibaum, die an diesem Tag rund 80 Senioren empfängt.

15 oder vielleicht auch 20 Jahre bereitet die 58-Jährige den beliebten Treffpunkt schon vor. So genau weiß Agnes Maibaum das nicht. „Den Seniorennachmittag hat‘s früher schon gegeben. Hier kennt jeder jeden“, erläutert sie die Beliebtheit des gemeinsamen Kaffeetrinkens mit kleinem Unterhaltungaprogramm.

Das Beste aus dem machen, was sich doch nicht ändern lässt: Agnes Maibaum kündigt einen Dorftrödel an, der am 30. März auf dem Keyenberger Schulhof stattfinden soll. „Wohnungen und Häuser müssen leergeräumt werden, und vieles kann man nicht mitnehmen. Das wird dann beim Dorftrödel verkauft an jemanden, der es noch brauchen kann.“

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