Theaterprojekt zur Umsiedlung „Verschwindende Orte“ auf der Theaterbühne

Erkelenz · Die Folgen des Braunkohlentagebaus und die Umsiedlung werden Thema im Theater. „Verschwindende Orte“ oder „Was uns retten kann“ hat als interdisziplinäres Bühnenstück in Köln Premiere. Mit dabei die Chorgemeinschaft Cäcilia Tenholt/Granterath/Hetzerath.

Mit dieser Tagebau-Impression stellt Eva-Marie Baumeister in einem Internetvideo das Theaterprojekt vor.

Foto: Robert Oschatz

Heinz-Rudi Heinze und seine Frau Barbara sind seit Jahrzehnten engagiert im Kirchenchorgesang. Das, was beide mit ihren rund 40 Mitstreitern der Chorgemeinschaft Cäcilia Tenholt/Granterath/Hetzerath im Alter von 20 bis 85 Jahren derzeit proben, ist aber für alle nicht nur Neuland, sondern eine ganz besondere, ja die bislang wohl größte Herausforderung. „Der sich aber alle mit Begeisterung stellen“, wie Chorvorsitzender Heinz-Rudi Heinze betont. Denn nicht nur anspruchsvolle Teile aus Johannes Brahms‘ Deutschem Requiem und ein Stück von Gustav Mahler fordern die Sänger unter Leitung von Jürgen Pelz. „Wir müssen uns auf der Bühne auch bewegen und mimisch Gefühle ausdrücken, etwa Ohnmacht oder Trauer“, berichtet Heinze.

Spannend werde es, so erzählt er, wenn die Chorgemeinschaft mit Bussen zu den abschließenden Proben nach Köln fährt, wo vor der Premiere des Bühnenprojektes „Verschwindende Orte“ die Amateursänger aus der Braunkohlenregion, um die es in dem Stück geht, mit den Profi-Künstlern zusammentreffen, die die Produzentin und Regisseurin Eva-Maria Baumeister für ihre interdisziplinäre Aufführung engagiert hat. Gern möchte sie die Produktion später auch in Erkelenz zeigen. Denn die Umsiedlung aufgrund des Braunkohlentagebaus und was sie mit den betroffenen Menschen macht, sind Thema des Stücks.

Eva-Maria Baumeister, die sich als Regisseurin sowohl in der freien Theaterszene wie auch als Gast an staatlichen Bühnen einen Namen gemacht hat, hatte, so erzählt sie, bis vor drei, vier Jahren keine Vorstellung davon, wie dramatisch sich Landschaften in der Großregion vor Köln, wo die Sauerländerin heute lebt, durch den Braunkohlentagebau verändern. Unvorstellbar war ihr, dass eine Fülle von Dörfern verschwinden und Menschen umgesiedelt werden müssen, weil die Bagger ihre Heimat gleichsam auffressen. Freunde erzählten Eva-Maria Baumeister davon, denn sie wussten, dass sie das Thema, wie Menschen durch ihre Umgebung geprägt werden, schon künstlerisch verarbeitet hatte. „Das musst du dir ansehen“, sagten Bekannte, und dann reiste sie ins Braunkohlenland und wanderte betroffen durch das sterbende Immerath und andere Umsiedlungsorte. „Das Apokalyptische hat mich sehr beschäftigt. Das rief nach einer künstlerischen Verarbeitung“, sagt Baumeister. Und sie suchte Kontakt zu den vom Verlust der Heimat Betroffenen in Keyenberg und Umgebung, nahm O-Töne auf und ließ ein Aufnahmegerät an der Keyenberger Bäckerei installieren, auf dem 160 Menschen ihre Erfahrungen zum Thema hinterließen. Natürlich erfuhr sie viel vom langjährigen Widerstand gegen die Umsiedlung und traf sich mit Vertretern der aktuellen friedlichen Aktivisten etwa der Initiative „Alle Dörfer bleiben“ oder dem Lokalpolitiker und Umsiedler Hans Josef Dederichs. Auch das virtuelle Museum des Erkelenzer Heimatvereins über die verschwindenden Orte beeindruckte sie.

„Die Ohnmacht der Menschen gegenüber der Macht des Tagesbaus macht betroffen“, sagt Baumeister. Das soll das Stück vermitteln – aber nicht nur. In der von einer Profi-Schauspielerin dargestellten Figur einer Architektin etwa, die im Umsiedlungsort ein Erdwärmekraftwerk entwickeln will und damit ihre individuelle Form des Widerstandes ausdrückt, setzt das Stück auch Akzente der Hoffnung. Im Stück treffen Schauspiel, Musik und Bewegung zu einer „musiktheatralischen Choreografie“ zusammen, wie Baumeister es nennt. Die Erfahrungsberichte von Betroffenen fließen ein. Der Laienchor agiert gemeinsam mit den Profis, die auch bereits einige Male bei Proben in Erkelenz waren.

Heinz-Rudi Heinze, Vorsitzender der Chorgemeinschaft, ist begeistert vom Theaterprojekt.

Foto: Angelika Hahn

Auf die Chorgemeinschaft wurde Baumeister übrigens durch Aufzeichnungen vom Entwidmungsgottdienst des „Immerather Doms“ aufmerksam, die der Chor musikalisch mitgestaltete. „Einige der Sänger(innen) sind ja selbst von der Umsiedlung betroffen. Für mich ist es reizvoll, Profis und bodenständige, vom Thema betroffene Akteure zusammenzubringen“, sagt die Regisseurin. Das sei auch für den Chor hochinteressant, bestätigt Heinz-Rudi Heinze. „Wir waren uns alle schnell einig, da mitzumachen.“ Und Ehefrau Barbara ergänzt: „Diese Chance, so etwas zu machen, werden wir nie wieder bekommen.“ Eine reine Protestaufführung hätte er nicht mitgemacht, betont Heinze. Aber das Stück sei vielschichtig und am Ende versöhnlich: „Alle Mitwirkenden singen am Schluss gemeinsam das Lied ,Schau auf die Welt‘ von John Rutter.