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Zwei Rollstuhlfahrer im Kreis Heinsberg Mit Optimismus durchs Leben

Erkelenz/Heinsberg · Nach schweren Unfällen müssen Monyc Trautzl (43) und Stefan Bethke (42) ihr Leben im Rollstuhl weiterführen. Wie sie technische Innovationen nutzen, Diskriminierungen begegnen und Normalität in ihren Alltag bringen.

 Monyc Trautzl besucht Stefan Bethke in Kleinbouslar. Seit dem Umbau eines Mercedes fährt sie ihr Traumauto. „Ich bin damit eigentlich immer auf Achse, das ist schon sehr cool“, erzählt sie freudestrahlend. 1999 hatte sie sich ihren ersten Wagen so umbauen lassen, dass sie mit ihrem Rollstuhl über eine Rampe bis hinters Lenkrad fahren konnte. Mit einem Joystick ließ sich „Porky“, wie ihr erstes Umbauauto hieß, einhändig steuern.

Monyc Trautzl besucht Stefan Bethke in Kleinbouslar. Seit dem Umbau eines Mercedes fährt sie ihr Traumauto. „Ich bin damit eigentlich immer auf Achse, das ist schon sehr cool“, erzählt sie freudestrahlend. 1999 hatte sie sich ihren ersten Wagen so umbauen lassen, dass sie mit ihrem Rollstuhl über eine Rampe bis hinters Lenkrad fahren konnte. Mit einem Joystick ließ sich „Porky“, wie ihr erstes Umbauauto hieß, einhändig steuern.

Foto: Ruth Klapproth

„Alexa, Musik aus“, ruft Monyc Trautzl. Und sofort ist es still in dem geräumigen Wohnzimmer der Heinsbergerin. Der multifunktionale Sprachassistent ist für viele Menschen nicht mehr als eine technische Spielerei in den eigenen vier Wänden: Das Licht steuern, den Radiosender wechseln, den Wetterbericht vorlesen. Für Monyc Trautzl ist Alexa eine riesige Erleichterung im alltäglichen Leben. Es ist ein Puzzlestück von vielen, das der 43-Jährigen etwas Normalität und Selbstständigkeit zurückgibt, die sie vor fast 25 Jahren auf einer Straße im niederrheinischen Straelen verloren hat.

Im Sommer 1995 ist die damals 19-Jährige auf dem Rückweg von einer Motorradsegnung in Kevelaer nach Hause. Anders als viele Jugendliche zeltet sie nicht vor Ort, sondern möchte mit ihrer Kawasaki zurück nach Heinsberg fahren. In der Nähe von Straelen nimmt ein Auto ihr die Vorfahrt und verletzt die junge Frau schwer. Es folgen viele Operationen, ein monatelanger Reha-Aufenthalt und am Ende eine bittere Gewissheit: Monyc Trautzl ist vom Bauchnabel abwärts querschnittsgelähmt und kann ihren linken, tauben Arm nicht mehr bewegen. „Ich war mitten im zweiten Lehrjahr meiner Ausbildung zur Bürokauffrau, wohnte zudem noch bei meinen Eltern in der oberen Etage“, erinnert sie sich zurück. „Als mir wirklich bewusst wurde, was ich überhaupt habe, war das ein großer Schock. Und dann hab ich entschlossen, dass ich kämpfen werde und bin die Arbeit angegangen.“

Weil ihr die vorgefertigten Pläne der Architekten nicht weit genug gehen, entwickelt sie Anfang 2000 ihre eigenen Ideen für ein behindertengerechtes und barrierefreies Haus. „Ich wollte selbstständig sein und mich nicht behindert fühlen“, erzählt sie. Weihnachten 2004 ist es endlich so weit und Monyc Trautzl erfüllt sich den Wunsch des eigenen, auf ihre Bedürfnisse und Anforderungen abgestimmten Hauses. Samt elektronisch höhenverstellbarer Küche, angepasstem Badezimmer und Aufzug im Flur, der die obere Etage erreichbar macht. Mit ihrem elektronischen Rollstuhl, den sie mit der rechten Hand bedienen kann, bewegt sich die 43-Jährige selbstständig in den eigenen vier Wänden. „Mir war nach dem Unfall wichtig, dass ich mein Leben auf die Kette kriege und gemütlich wohne.“

Neben den Besonderheiten an ihrem Haus gibt es eine weitere Sache, die Monyc Trautzl viel Selbstständigkeit in ihrem Leben ermöglicht: ihr Auto. Bereits 1999 ließ sie sich einen Wagen so umbauen, dass sie mit ihrem Rollstuhl über eine Rampe bis hinters Lenkrad fahren konnte. Mit einem dort angebrachten Joystick ließ sich „Porky“, wie ihr erstes Umbauauto hieß, einhändig steuern. Mit dem Umbau eines Mercedes fährt Monyc Trautzl nun seit einigen Jahren ihr Traumauto. „Ich bin damit eigentlich immer auf Achse, das ist schon sehr cool“, erzählt sie freudestrahlend.

Auch Stefan Bethke hat einen umgebauten Wagen vor der Tür stehen, fährt damit aber nicht so häufig. Der Erkelenzer lebt in Kleinbouslar und ist seit 22 Jahren auf seinen Rollstuhl angewiesen. „Ich war damals bei der Bundeswehr, Grundausbildung, stationiert in der Eifel“, beginnt er zu erzählen. „In der Nacht auf den 1. Dezember wurde ich auf dem Rückweg zur Kaserne mit dem Auto mitgenommen. Auf der Autobahn 1 überschlugen wir uns und landeten kopfüber auf dem Dach.“ Sofort merkt Stefan Bethke, der den gesamten Unfall bei vollem Bewusstsein ist, dass etwas Schlimmes passiert sein muss. Wie Monyc Trautzl wird auch er umgehend operiert und verbringt anschließend ein Reha-Jahr in Koblenz. „Ich habe dort natürlich erschütternde, aber auch tolle Erfahrungen gemacht. Mir wurde das Gefühl vermittelt, dass ich weiterhin ein Mensch bin, der normal am Leben teilnehmen kann“, erzählt er.

Dieses Gefühl ändert sich, als er aus Koblenz zurückkehrt. Denn die schwere Verletzung und der Rollstuhl verändern den Umgang anderer Menschen mit ihm. „Viele konnten den Blick nicht halten, waren stark verunsichert, sprachen mit meiner Begleitung über mich anstatt direkt mit mir. Und wenn sie mit mir sprachen, ging es immer nur um das eine Thema“, erklärt der heute 42-Jährige. „Dabei bin ich doch mehr als die Behinderung.“ Stefan Bethke geht im Anschluss durch eine schwer-depressive Phase, schafft es aber, sein Leben umzukrempeln. Er schreibt sich für ein Studium an der Universität Köln ein und baut in Kleinbouslar – auf Initiative seines Vaters – ein komplett barrierefreies Haus mit großem Garten. Sechs Jahre studiert Stefan Bethke Psychologie, hängt anschließend noch eine fünfjährige Ausbildung zum Psychotherapeuten an. 2018 schließt er auch diese erfolgreich ab. „In dem Job geh’ ich total auf und kann ihn ohne Einschränkungen ausüben. Dafür brauch ich nur mein Mundwerk und meinen Verstand.“ Auch der Umgang mit anderen Menschen, die ihn auf seine Behinderung reduzieren, sei für ihn nach 22 Jahren zu Routine geworden, Überraschungen gäbe es trotzdem immer wieder: „Es gibt wirklich absurde Situationen, da wechsel ich dann einfach die Perspektive, als wäre es eine Szene in einer Komödie. Darüber zu lachen, was ich alles erlebe, ist wirklich befreiend für mich.“

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