Initiative im Erkelenzer Land prangert Missstände an Pflegen bis hin zur völligen Erschöpfung

Erkelenzer Land · Die Initiative „Respekt“ hat sich zum Ziel gesetzt, ausgebeuteten Betreuungskräften aus Osteuropa eine Stimme zu geben. Für Betroffene gibt es jetzt eine mehrsprachige Plattform im Internet.

Frauen vornehmlich aus Osteuropa kümmern sich vielfach für einen Hungerlohn um Pflegebedürftige in Privathaushalten.

Frauen vornehmlich aus Osteuropa kümmern sich vielfach für einen Hungerlohn um Pflegebedürftige in Privathaushalten.

Foto: Gabriel Werner/Gabriel, Werner

Sie kommen meistens für drei Monate, weil sie auf das Geld dringend angewiesen sind. Arbeiten bis zu 22 Stunden am Tag bis zur völligen Erschöpfung. Schwarzarbeit, keine Krankenversicherung, Scheinselbstständigkeit, illegaler Aufenthalt. Oft ohne Arbeitsvertrag. „Live Ins“ werden die Frauen aus Polen, Rumänien, Bulgarien oder der Ukraine genannt, die sich Tag und Nacht um pflegebedürftige Menschen in deren eigenen vier Wänden kümmern. Sie wohnen unter einem Dach mit der zu pflegenden Person, dürfen kaum Pausen machen, müssen einen beträchtlichen Teil ihres Einkommens den oftmals dubiosen Vermittlungsagenturen überlassen. „Die Situation stellt sich sehr, sehr schwierig dar, nachdem die Frauen ihr Zuhause und ihre Kinder verlassen haben“, sagt Rosi Becker, die Mitbegründerin der Initiative „Respekt“ ist, die sich um die ungelernten osteuropäischen Betreuungskräfte kümmert.

Der Zusammenschluss der Ehrenamtler will mehr anbieten als Sprachkurse, Informationen und die regelmäßigen Treffen in mittlerweile sechs Gruppen unter anderem in Erkelenz, Geilenkirchen und Randerath. Zusammen mit Amos in Oberbruch, der Katholischen Arbeitnehmerbewegung (KAB) und finanziert durch das Bistum Aachen, ist die Homepage www.respectcare.de entstanden, der schon bald eine eigene App folgen soll. Das Ziel: den ausgebeuteten Frauen – in seltenen Fällen auch Männern aus Osteuropa – die Chance geben, sich zu vernetzen, sie zu unterstützen und ihnen ihre Rechte zu erklären, wenn zum Beispiel bei einem Todesfall in der eigenen Familie strikt untersagt wird, die Arbeitsstelle in Deutschland vorübergehend zu verlassen.

Angedrohte Vertragsstrafen oder Wettbewerbsverbotsklauseln wie etwa eine erhebliche Sanktion bei vorzeitigem Beenden des „Arbeitsvertrages“ seien juristisch gar nicht haltbar, haben die Macher der neuen Informations- und Vernetzungsplattform im Internet längst festgestellt. Die Situation der Wanderarbeitnehmerinnen und -arbeitnehmer sei äußerst prekär, betont Amos-Vorstand Johannes Eschweiler. „Der Arbeitsvertrag entspricht nicht den Normen. Wenn es überhaupt einen gibt.“ Die Rund-um-die-Uhr-Betreuung in den eigenen vier Wänden der Pflegebedürftigen beinhalte oft auch verbotene pflegerische Tätigkeiten, die ohne entsprechende Ausbildung gar nicht ausgeübt werden dürften, hat Rosi Becker festgestellt.

Seit die Initiative „Respekt“ nach schweizerischem Vorbild 2017 im Kreis Heinsberg von ihr mitgegründet wurde, hat sie sich immer wieder in die Belange der Scheinselbstständigen eingebracht und sich mit den fragwürdigen Vermittlungsagenturen angelegt, die Monat für Monat die Hand aufhalten und erhebliche Teile des Einkommens der vermittelten Personen verlangen. „Wir versuchen, diese Frauen aufzufangen und ihnen klarzumachen, dass sie praktisch schon mit einem Bein im Gefängnis stehen.“ Oft seien die ausländischen Frauen der Willkür der Familien oder der Agenturen hilflos ausgesetzt, so Becker. Sie schildert den Fall einer Betreuungskraft, die ihr unter Tränen mitgeteilt habe, dass sie kurzfristig nach Hause geschickt werde, ohne dass ihr erläutert worden sei, warum man sie nicht mehr haben wollte. „Diese Frauen brauchen unsere Hilfe.“

V. l: Hans-Werner Quasten (Amos), Achim Kück (KAB), Wilfried Wienen, Rosi Becker (beide Respekt) und Johannes Eschweiler (Vorstand Amos) prangern Missstände an.

V. l: Hans-Werner Quasten (Amos), Achim Kück (KAB), Wilfried Wienen, Rosi Becker (beide Respekt) und Johannes Eschweiler (Vorstand Amos) prangern Missstände an.

Foto: Daniela Giess

Johannes Eschweiler erzählt von Stundenlöhnen von zwei Euro, da Bereitschaftszeiten beispielsweise nicht vergütet würden. Er hofft, mit der Politik ins Gespräch zu kommen und sieht im Heinsberger Bundestagsabgeordneten Wilfried Oellers einen guten Ansprechpartner, da der CDU-Politiker von Haus aus Anwalt mit dem Schwerpunkt Arbeitsrecht sei. KABler, Betriebsseelsorger des Bistums Aachen, Ehrenamtler der Initiative „Respekt“ und der Amos-Vorstand wollen nicht aufhören, den Finger immer wieder in die Wunde zu legen, um Verbesserungen zu erreichen und Missstände zu beseitigen. „Wir fordern eine Pflegereform und ein neues Pflegesystem“, bringt es „Respekt“-Vertreter Wilfried Wienen auf den Punkt. Die Gefahr der Ausbeutung sei sehr groß, unterstreicht Amos-Aufsichtsratsvorsitzender Hans-Werner Quasten. Die Ursache für die gravierenden Missstände sieht er im starken Fachkräftemangel. Im Internet hat Quasten Erschreckendes recherchiert – er spricht von einem „Darknet der Pflege“, wenn man sich auf die Suche begebe nach einer 24-Stunden-Betreuungskraft.

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