Heimatserie Heimatgefühl erleben und geben

Erkelenz · Die Kindergruppe Niershelden kochte mit Sternekoch Alexander Wulf an ihrem Benefizabend „Er-lesene Köstlichkeiten“.

 Im Zentrum standen die Niershelden, die vom Kochen bis zum Getränkeservice alles in die eigene Hand genommen hatten.

Im Zentrum standen die Niershelden, die vom Kochen bis zum Getränkeservice alles in die eigene Hand genommen hatten.

Foto: Ruth Klapproth

Wo ich glücklich bin, da ist meine Heimat. In diesem Sinne war der siechende Ort Keyenberg für einige Stunden Heimat in Anbetracht der vielen glücklichen Gesichter nach einem erlebnisreichen und spannenden Tag. Vornehmlich die Niershelden erlebten dieses Heimatgefühl. Sie sind eine Gruppe von sechs- bis 13-jährigen Kindern, die 2017 auf Anregung von Britta Wagner entstanden ist. Die Jungen und Mädchen aus Erkelenz-Keyenberg und den anderen von der tagebaubedingten Umsiedlung betroffenen Orte Ober- und unter Westrich, Berverath und Kuckum wollen sich nicht trennen lassen, sondern trotz Umsiedlung in die neuen Orten fern der Niers eine Gemeinschaft sein, sich Zusammenhalt geben. Sie spielen jede Woche miteinander, erleben Abenteuer, spüren die Gemeinschaft mit klaren Regeln, an die sie sich halten: Streiten, beleidigen oder unpünktlich sein, das ist bei ihnen verpönt. „Sie spielen so, wie wir als Kinder gespielt haben, draußen, ohne Verbote und ohne darauf achten zu müssen, sich nicht schmutzig zu machen“, erzählte Erzieherin Britta Mühlenberg.

Und so waren die Niershelden auch an diesem besonderen Tag, an dem es eine Benefizveranstaltung für sie gab, pünktlich zur Stelle, um im Pfarrheim mitzumachen. Dort wartete schon ein Sternekoch auf sie: Alexander Wulf aus Erkelenz, der das Gourmetrestaurant St. Jaques in Heinsberg-Randerath betreibt. Er weiß, was Heimat bedeutet: Als Kind siedelte er aus Russland mit seinen Eltern nach Deutschland um; zunächst in die alte Molkerei nach Holzweiler, dann in den Bauxhof, er ging in Keyenberg zur Grundschule und hat eines nicht vergessen: die Hilfsbereitschaft und die Herzlichkeit, mit der er vor über 25 Jahren in Erkelenz aufgenommen wurde. „Dafür möchte ich mich bedanken und in meiner neuen Heimat mithelfen, wenn ich helfen kann, besonders, wenn es dabei um Kinder geht.“ Unter dem Titel „Er-lesene Köstlichkeiten“ luden die Niershelden zu einem Abend ein, bei dem es eine Lesung und eine Mahlzeit gab. Spontan hatte sich Wulf bereit erklärt, für 100 Besucher zusammen mit den Niershelden ein Essen zu zaubern.

50 Kilogramm Kartoffeln, 20 Kilogramm Zwiebeln, 30 Gurken und weiteres Gemüse wurden mit Unterstützung von Britta Mühlenberg und Wulfs Auszubildendem Daniel Prick geputzt, geschält und zerkleinert, ehe es daran ging, aus 25 Kilogramm Gehacktem, 80 Eiern und weiteren Zutaten Frikadellen „so groß wie Kanonenkugeln“ herzustellen. Was auf den ersten Eindruck wie Hausmannskost schien, nämlich lauwarmer Kartoffel-Gurken-Salat mit Frikadellen und Kräuerquark, entpuppte sich am Abend als köstliche Delikatesse. Für eine Quarkspeise zum Dessert hatte Sylvia Laumen gesorgt.

 Kiloweise Gemüse wurde von den jungen Niershelden mit Unterstützung von Britta Mühlenberg, Daniel Prick und Alexander Wulf verarbeitet.

Kiloweise Gemüse wurde von den jungen Niershelden mit Unterstützung von Britta Mühlenberg, Daniel Prick und Alexander Wulf verarbeitet.

Foto: Ruth Klapproth

Vor und nach dem Essen gab es Feinkost für die Ohren: Kurzgeschichten rund ums Essen und Trinken, vorgetragen von Hörbuchsprecher René Wagner und Autor Kurt Lehmkuhl. Aber sie waren, wie auch Wulf, nur Randfiguren. Im Zentrum standen die Niershelden, die vom Kochen bis zum Servieren, vom Empfang der Gäste bis zum Garderobendienst, vom Getränkeservice bis zur Platzanweisung alles in die eigene Hand genommen und auch die Moderation des Abends übernommen hatten. Ob Laura oder Martina, ob Tim oder Ida, mit ihren Ankündigungen und ihren Interviews der „Großen“ auf der Bühne, sie alle machten ihre Sache bestens und bereiteten den Besuchern einen vergnüglichen Abend, der vergessen ließ, dass nur wenige hundert Meter entfernt schon ein Bagger darauf wartet, ihre Heimat zu vernichten.

„Das ist Gemeinschaft, das ist Heimatgefühl“, sagte anerkennend Hans-Josef Pisters, der zwar schon im neuen Keyenberg wohnt, aber gerne in die alte Heimat zurückkehrte. Die Bäckerei, die Metzgerei, der Blumenhandel, die Genossenschaftbank und ein Gemüsehändler hatten als Sponsoren ohne Zaudern ihren Beitrag und ihre Spenden zugesichert, sodass der Abend ein erkleckliches Sümmchen in die Kasse der Niershelden spülte. „Fantastisch“, schwärmte Pfarrer Werner Rombach. „Dass so viele Menschen an einem Strang ziehen und sich gegenseitig stärken, ist eine tolle Sache.“

 Heimatlogo-Herz_SERIE

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Foto: RP/Podtschaske , Alicia

Für die Niershelden war dieser Abend ein weiterer Schritt in ihrer ereignisreichen Geschichte, die René Wagner in einem kurzen Film zusammengestellt hat. Dafür erhielt er ebenso viel Dank, Beifall und Anerkennung wie alle, die an diesen „Er-lesenen Köstlichkeiten“ mitgewirkt haben. Den größten Anteil hatte sicherlich Britta Wagner, die nicht nur die Gruppe ins Leben gerufen und den Tag bis ins Detail organisiert hat, sondern die auch immer wieder darauf hinarbeitet, dass die Kinder glücklich sind – eben ein Heimatgefühl erleben dürfen.

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