Akteure und Interessen Wer will was im Kosmos Lützerath?
Erkelenz/Düsseldorf · Die Räumung der Ortschaft Lützerath steht kurz bevor. Viele Akteure mischen im Kosmos Lützerath mit. Wie sind ihre Positionen? Wir stellen sie vor.

Das sind die wichtigsten Akteure in Lützerath
- Mona Neubaur – die NRW-Ministerin für Wirtschaft, Klimaschutz und Industrie: Vielen Beobachtern war klar, dass Mona Neubaur (Grüne) im Falle einer Regierungsbeteiligung ein Superministerium analog zu dem Robert Habecks bekommen würde. So kam es im Sommer. Neubaur hatte zuvor oft damit kokettiert, dass unter ihrer Führung als Parteichefin die NRW-Grünen dorthin gegangen seien, wo man sie nicht erwartet habe. Etwa zu den Industriekonzernen. Tatsächlich hat sie sich in Unternehmerkreisen Respekt erworben. Neubaurs Wahlkampfslogan: NRW zur ersten klimaneutralen Industrieregion Europas zu machen. Der Ukrainekrieg sorgte dafür, dass dieses Ziel komplizierter geworden ist. Statt weniger wird nun kurzfristig mehr Braunkohle verstromt, der Weiler Lützerath muss weichen. Am Ende könnte ihr das aber beim grünen Wahlvolk gefährlich werden. Es droht eine inzwischen offen zur Schau gestellte Entfremdung von den Klimaaktivisten. Erst jüngst klebten sich wieder Wissenschaftler an ihr Ministerium. Neubaur versucht zwar, mit Dialog gegenzuhalten. Doch durchdringen tut sie mit ihrer Dialektik kaum. Das Gutachter-Verfahren zu Lützerath empfanden viele Kritiker zudem als intransparent. Die Opposition warf ihr Hinterzimmer-Deals vor. Juristisch sei im Grunde geklärt, so ihre Haltung, sprich: RWE habe alles Recht zum Räumen und Abbaggern. Die Ministerin schaffte es bislang nicht, die auf der Haben-Seite verbuchten Positionen wie den um acht Jahre auf 2030 vorgezogenen Kohleausstieg und den Erhalt der Dörfer im dritten Umsiedlungsabschnitt ins Schaufenster zu stellen. „Politik muss manchmal schwierige Entscheidungen treffen“, sagte die Ministerin jüngst unserer Redaktion. Ihre parteiinterne Stellung dürfte mit der Räumung allerdings auch deutlich schwieriger werden.
- Stephan Pusch – der Heinsberger Landrat: Nachdem sich die Stadt Erkelenz der Räumungsanweisung widersetzte, sprang der Kreis Heinsberg mit seinem Landrat Stephan Pusch (CDU) als nächsthöhere Behörde ein. Wenn auch „mit Bauchschmerzen“, wie der 54-Jährige nach mehreren Tagen Bedenkzeit verkündete. Pusch, der sich mit seinem entschlossenen Handeln während der Corona-Pandemie bundesweit einen Namen gemacht hatte, ist nun also offiziell für den Räumungseinsatz in Lützerath verantwortlich, die Koordination vor Ort übernimmt freilich die Polizei. Pusch befindet sich im Zwiespalt: Einerseits hätte er gerne verweigert, da der Kreis Heinsberg sich ebenfalls als „Opfer des Tagebaus“ fühlt – für Bürgermeister Muckel äußerte Pusch gar „vollstes Verständnis“. Andererseits sah er sich aber in der Pflicht, den sowohl demokratisch entschiedenen als auch juristisch bestätigten Willen der „großen Politik“, wie Pusch gerne sagt, vor Ort umzusetzen. „Tun wir das nicht, legen wir die Axt ans Fundament unseres Rechtsstaats“, sagte Pusch.Für die Sorgen der Klimaaktivisten äußert der Landrat Verständnis, die Besetzung und den teils gewaltsamen Widerstand gegen die Polizei verurteilt er allerdings. „In Zeiten, in denen sich sogenannte Klimaschutzaktivisten am Asphalt der Straßen festkleben und Reichsbürger den Umsturz planen, sind wir mehr denn je aufgefordert, für Freiheit und Demokratie einzustehen und die Prinzipien des Rechtsstaats zu verteidigen“, sagte Pusch zuletzt in seiner Jahresabschlussrede. Dass er dabei die Aktivisten in einem Satz mit Reichsbürgern verwendete, kam in der Szene alles andere als gut an.
- Stephan Muckel – der Erkelenzer Bürgermeister: Mit seiner Weigerung, die Räumung Lützeraths anzuordnen, hat der Erkelenzer Bürgermeister Stephan Muckel (42, CDU) Haltung gezeigt und dafür sogar disziplinarische Konsequenzen in Kauf genommen. Das hat ihm in der Stadt und auch in der Aktivistenszene Respekt eingebracht. Zuvor hatte die Bezirksregierung Köln die Stadt Erkelenz ordnungsbehördlich angewiesen, die Verantwortung für den Räumeinsatz in Auftrag zu übernehmen. „Ich bin der Auffassung, dass bundes- und landespolitische Entscheidungen zur bundesweiten Energieversorgung auch dort vollzogen werden müssen, wo sie getroffen werden“, sagte Muckel. „Wenn Sie ungebetene Gäste in ihrem Garten haben, dann rufen Sie doch auch nicht den Bürgermeister an, sondern die Polizei. „Die Stadt Erkelenz positioniert sich seit Jahrzehnten gegen den Tagebau Garzweiler II – laut ursprünglicher Planung der Landesregierung wäre sogar knapp ein Drittel der gesamten Stadtfläche der Braunkohle zum Opfer gefallen. „Jeder erhaltene Quadratmeter ist ein guter Quadratmeter“, so lautet seit jeher die Maxime der Stadtverwaltung. Lützerath als Dorf hat für die Erkelenzer genau wie für Muckel hingegen keinen gesteigerten Wert mehr – der letzte echte Lützerather hat den Ort schließlich bereits im vergangenen Jahr verlassen. Viel wichtiger ist dem Bürgermeister, dass die fünf geretteten Braunkohledörfer wieder zum Leben erweckt werden. Es dürfte die mit Abstand größte Aufgabe in der Amtszeit des 42-Jährigen werden, der seit zwei Jahren an der Stadtspitze steht.
- Markus Krebber – der RWE-Chef: Seit 2012 ist Markus Krebber bei RWE, seit Mai 2021 ist der Ökonom Chef des Energiekonzerns. Der gebürtige Klever hat viele Auseinandersetzungen mit Politik, Klimaschützern und gewalttätigen Aktivisten miterlebt. Seit Jahren spaltet die Braunkohle – heimischer Energieträger einerseits, klimaschädlichster Rohstoff für die Stromerzeugung andererseits – Nordrhein-Westfalen. Mit Anspannung blickt der 49-Jährige auf die nahende Räumung von Lützerath: „Da dies nicht ohne eine Räumung der besetzten Häuser gehen wird, sind wir auf die Polizei angewiesen“, sagte Krebber unlängst unserer Redaktion. Er hofft, dass alles friedlich verläuft: „Bei allem Verständnis für Proteste: Ich hoffe, dass es keine Szenen wie bei der Räumung des Hambachers Forstes gibt. Hier geht es nicht um einen Wald, sondern um wenige Häuser deren Bewohner längst ausgezogen sind.“ Der Konzern sieht sich nach dem Urteil des Oberverwaltungsgerichts Münster im Recht: „Es gibt ein rechtskräftiges Urteil und eine Einigung mit Bund und Land. Durch diese Einigung können fünf bewohnte Dörfer stehen bleiben. Ich hoffe sehr, dass die Proteste friedlich bleiben.“ Lützerath ist das letzte Dorf, das dem Tagebau Garzweiler weichen muss. Gerade erst hat RWE auf Wunsch der Politik Kohleblöcke zurück ans Netz geholt, um die Versorgung zu sichern. Zugleich zieht die RWE AG, die Krebber zum Ökostromkonzern umbaut, den Kohleausstieg auf 2030 vor – dann wird die Braunkohleverstromung in NRW ohnehin Geschichte.
- Dirk Weinspach – der Polizeipräsident: Dirk Weinspach ist der Mann, der Lützerath räumen lässt. Seine Aachener Polizeibehörde ist federführend im Tagebau-Dorf im Einsatz. Es ist eine Verantwortung, um der Polizeipräsident nicht gebeten hat, sondern die ihm aufgrund der geografischen Lage Lützeraths und seines Polizeipräsidiums zugefallen ist. Eine Aufgabe, die er merklich zähneknirschend annimmt - wie schon die Räumung des Hambacher Forstes vor einigen Jahren. „Ich wünschte, die Räumung von Lützerath hätte sich vermeiden lassen. Aber sie ist – nach allem was ich weiß – leider unvermeidlich“, sagt er. Denn Weinspach teilt die Sorgen der Klimaktivisten vor einer Erderwärmung und die Ängste vor den Folgen, wenn es nicht gelingen sollte, das völkerrechtlich vereinbarte 1,5-Grad-Ziel einzuhalten. Das sagt und schreibt er auch ganz offen. Und er duckt sich auch nicht weg, sondern sucht die Kommunikation mit den Besetzern. Er hat sogar ausführlich auf einen Brief der Klimakativisten geantwortet und ihnen darin Respekt bekundet. Seine Strategie setzt eindeutig auf Transparenz und Deeskalation. Er sagt: „Unser erstes Einsatzmittel ist und bleibt das gesprochene Wort.“ Und das sagt er nicht nur so daher. Schon bei den Vorbereitungsmaßnahmen zur Räumung, die am Montag begonnen haben, fällt auf, dass die Polizisten immer wieder zu den Aktivisten gehen und das Gespräch suchen – und so auch schon einige brenzlige Situationen friedlich gelöst haben. Konfrontationen werden bei der Räumung aber nicht zu vermeiden sein. Weinspachs Hoffnung ist, dass dabei niemand verletzt wird.
- Herbert Reul – der Innenminister: Herbert Reul (CDU) hätte vermutlich gut auf die Räumung Lützeraths verzichten können – und auf den ganzen Ärger, der damit wohl einhergehen wird. Die Räumung des benachbarten Hambacher Forstes im Spätsommer 2018, einem der größten und am heftigsten umstrittenen Polizeieinsätze der jüngeren Landesgeschichte, dürfte ihm noch gut in Erinnerung sein – wenn auch nicht gerade in bester. In Erinnerung geblieben sind vielen der tragische Absturz eines jungen Mannes von einer Hängebrücke im besetzten Wald sowie Fäkalienwürfe, Molotowcocktails und Zwillenschüsse auf die Polizei. Solche Szenarien will Reul in Lützerath nicht mehr sehen. Reul hofft auf ein schnelles Ende des Polizeieinsatzes im Erkelenzer Örtchen, auf eine Räumung, die sich nicht wieder wochenlang hinziehen und bei der niemand verletzt wird. Für die Klimabewegung hat er großes Verständnis – und für friedlichen Protest. Ihn ärgern aber die gewaltbereiten Autonomen und Linksextremisten, die, wie er sagt, „unter dem Deckmantel der Klima-Proteste mit Gewalt Stimmung gegen den Staat“ machten. Gegen die werde auch kompromisslos vorgegangen, kündigte er an. Wie auch immer der Einsatz verlaufen wird, so viel Kritik von den Grünen wie damals beim Hambacher Forst wird er diesmal nicht bekommen. Schließlich sitzen sie diesmal mit ihm in der Landesregierung und tragen ebenfalls Verantwortung für die Räumung.
- Wolfgang Metzeler-Kick – der Aktivist: Wolfgang Metzeler-Kick ist nach Lützerath gekommen, um zu helfen, dass das Tagebau-Dorf nicht dem Erdboden gleichgemacht wird. Dass die Ortschaft abgebaggert werden soll, sei kompletter Wahnsinn, sagt der 48-Jährige, der sich bundesweit an Klimaprotesten beteiligt und sich auch der „Letzten Generation“ angeschlossen hat. „Die geplante Abbaggerung entspricht einem weiter wie bisher, das totbringend ist. Und das kann ich nicht so akzeptieren“, sagt er. Metzeler-Kick ist Ingenieur für technischen Umweltschutz. Mit seinen 48 Jahren ist er eine Ausnahme unter den Aktivisten in Lützerath; die meisten sind wesentlich jünger als er – manche sind nicht einmal erwachsen. Sie alle eint die Sorge um das Klima. „Das, was wir hier machen, hat eine Legitimation. Es gibt diese Notwendigkeit nicht, Lützerath noch abzubaggern – auch nicht infolge der Energiekrise. Wir müssen nicht an diese Kohle ran“, sagt Jule F., die sich nicht fotografieren lassen möchte und schon seit einem Jahr in Lützerath lebt. „Bei der Räumung geht es nur im Profite für RWE. Das hat nichts mit energiepolitischer Notwendigkeit zu tun“, sagt sie. Metzeler-Kick ist jemand, der seinen Worten auch Taten folgen lässt. Er gehörte zu einer etwa 30-köpfigen Gruppe, die von der Polizei in München in Gewahrsam genommen wurde, weil sie sich an die Straße geklebt und den Verkehr behindert hatten. Im Gewahrsam trat er in einen Hungerstreik. Auch in Lützerath hat er sich schon festgeklebt auf einer Straße – direkt vor einem Polizeiaufgebot.