Lützerath - Die Angst der Anwohner vor den Aktivisten "Zugeschissene Gärten", "eingeschlagene Scheiben" und "Böller in der Nacht"

Erkelenz · Anwohner in den Erkelenzer Kohledörfern um Lützerath fühlen sich von Aktivisten bedroht. Sie berichten von nächtlichen Böllerwürfen und Fäkalien auf ihren Grundstücken.

 Blick auf den Parkplatz am Camp der Aktivisten. Sie haben sich auf dem nicht mehr genutzten Keyenberger Sportplatz niedergelassen.

Blick auf den Parkplatz am Camp der Aktivisten. Sie haben sich auf dem nicht mehr genutzten Keyenberger Sportplatz niedergelassen.

Foto: Ruth Klapproth

Seit Anfang Januar haben Aktivisten auf dem Keyenberger Sportplatz ihr Camp aufgeschlagen, um von dort aus ihren Protest gegen die Räumung Lützeraths zu koordinieren. Am 14. Januar, als zwischen 15.000 und 35.000 Menschen vor Lützerath protestierten, campierten dort und auf dem Kuckumer Sportplatz sogar hunderte Menschen – sehr zum Leid der Anwohner in den Kohledörfern.

Der „harte Kern“ der Menschen in den großteils verlassenen Orten Keyenberg, Kuckum, Berverath und Ober- und Unterwestrich – ein paar Dutzend Menschen, die trotz allen Widerständen und gegen den Druck von RWE gekämpft haben und in ihrer Heimat geblieben sind – fühlt sich eingeschüchtert. Viele Anwohner haben Angst. Das wird aus einem Brief von 45 Anwohnern deutlich, der an Polizeipräsident Dirk Weinspach, Landrat Stephan Pusch und den Erkelenzer Bürgermeister Stephan Muckel addressiert ist und unserer Redaktion vorliegt. „Wir haben schlichtweg Angst“, heißt es darin.

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Die letzten Tage von Lützerath – eine Chronologie

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Foto: dpa/Henning Kaiser

Die Anwohner schildern eindrücklich Erlebnisse, die sie in den vergangenen Tagen erlebt haben, seit sich Aktivisten in den Dörfern niedergelassen haben. „Sie rennen wie selbstverständlich in zwei Nächten durch die Dörfer, vermummt, schlagen Scheiben ein, beschmieren Wände und feuern Böller ab“, heißt es in dem Brief. In zahlreichen Fällen sollen Menschen in Einfahrten uriniert und ihr großes Geschäft in Gärten erledigt haben. Auch in den drei Nächten vor der Großdemonstration am vergangenen Samstag „haben wir Aktivisten von Privatgrundstücken vertrieben, da sie dort einen Campingplatz eröffnen wollten“, heißt es in dem Brief.

Aus Angst vor Drohungen, die es schon mehrfach gegeben habe, wollen die meisten Anwohner anonym bleiben. Die Keyenbergerin Barbara Oberherr, die bereits in der Vergangenheit als „Sprachrohr“ der Menschen in den Altdörfern fungierte, sagt: „Für uns fühlt es sich an wie in Hitchcocks ,Die Vögel‘. Da rennen nachts 100 bis 200 schwarz Vermummte durchs Dorf, rufen Parolen und werfen Böller. Die haben im Grunde die ganzen Dörfer zugeschissen, an den Häusern und auf den Feldern massive Schäden hinterlassen.“ Für Oberherr sei „eine rote Linie überschritten worden“.

Persönliche Versuche, die Aktivisten anzusprechen, seien nach hinten losgegangen. „Dann geh rein und guck fern, dann kriegst du den Mist nicht mit!“, „Hier wird sowieso bald alles abgebaggert, wir können machen, was wir wollen“ oder „Wir haben die Dörfer gerettet und nun entscheiden wir, was damit wird!“ seien einige der Antworten, die die Anwohner laut Brief erhalten haben.

„Dies bewirkt in uns, dass wir Angst haben und uns eingeschüchtert fühlen“, schreiben die Anwohner. „So als ob wir herausgeekelt werden sollen“, damit „ein Parallelstaat“ in den Dörfern entstehen könne. Auch von der Polizei sei am Tag der Demonstration während der unübersichtlichen Lage keine Hilfe gekommen: „Da bei den einzelnen Konfrontationen an diesem Tag keine Polizei zu uns durchkam oder Kräfte nicht vorhanden waren, mussten wir uns selber helfen. Gerade bei den älteren Anwohnern produzierte dies Angst, wie man sich vorstellen kann.“

Noch dramatischer empfinden das die vielen Ukraine-Flüchtlinge, die in Kuckum und Keyenberg untergekommen sind. Diese würden sich nach Schilderung der Anwohner „kaum noch auf die Straße trauen“.

Auch bei der Stadt Erkelenz haben sich Beschwerden und Hilferufe gehäuft. „Wir haben in den vergangenen Tagen unzählige Anrufe und Mails erhalten und Gespräche geführt, mit Menschen aus den fünf Dörfern, aber auch aus Holzweiler“, sagt Bürgermeister Stephan Muckel. „Ich habe das Gefühl, dass die Stimmung umschlägt.“

Das ist auch deshalb bemerkenswert, weil gerade die Dagebliebenen in den vergangenen Jahren Seite an Seite vehement mit den Klimaschützern um den Erhalt ihrer Heimat gekämpft hatten. Gemeinsam hatte man schließlich doch noch geschafft, die fünf Dörfer zu retten – eine Nachricht, die in Erkelenz vielerorts für Freudentränen gesorgt hatte.

Den Anwohnern ist wichtig, dass sie durchaus zwischen Demonstranten, Aktivisten und Extremisten unterscheiden. „Viele von uns haben selber für den Klimaschutz demonstriert, sind geblieben und respektieren rücksichtsvollen, nicht strafbaren Aktivismus“, sagen sie. „Aber wir glauben auch an unsere repräsentative Demokratie und akzeptieren, was die von uns gewählten Volksvertreter entscheiden. Natürlich kann nie eine Einigung in jeglicher Hinsicht erzielt werden, welche allen zusagt. Nur zeichnet sich eine Demokratie dadurch aus, dass man die Meinung der Mehrheit respektiert.“ Die Aktivisten und auch Bündnisse wie „Alle Dörfer bleiben“ hätten sich zuletzt zunehmend radikalisiert – davon distanzieren sich die Anwohner.

Die Aktivisten von „Lützerath lebt“, die auch das „Unser Aller Camp“ verwalten, wie sie ihr Lager in Keyenberg nennen, waren nicht für eine Stellungnahme zu erreichen.

Die Anwohner jedenfalls hoffen, dass sie bald wieder ihre Ruhe haben. Dann wollen sie gemeinsam mit der Stadt die Zukunft der Dörfer planen. Am 2. Februar soll dazu in der Stadthalle eine Auftaktveranstaltung stattfinden. „Wir sind sehr gespannt“, sagt Barbara Oberherr.

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