Pantomime in Erkelenz Vom Kreuzweg ergriffen

Erkelenz · In einer außergewöhnlichen Trinität aus Textrezitation, Orgelmusik und pantomimischer Darstellung wurde Marcel Duprés Kreuzweg in St. Lambertus zur emotionalen Tour de Force für das Publikum.

 Milan Sladek (85) schlüpfte mit seiner Pantomime in mehrere Rollen.

Milan Sladek (85) schlüpfte mit seiner Pantomime in mehrere Rollen.

Foto: Ruth Klapproth

„Uns erwartet heute ein außergewöhnliches Konzerterlebnis“, versprach Pastor Werner Rombach in seinen einleitenden Worten zum Kreuzwegkonzert in St. Lambertus am Samstag. Für die Aufführung von Marcel Duprés „Le Chemin de la Croix op.29“, den der französische Organist nach Texten seines Landsmanns und Dichters Paul Claudel komponierte, hatte Kantor Stefan Emmanuel Knauer drei Meister nach Erkelenz geholt: Professor Norbert Düchtel aus Regensburg brachte Duprés Programmmusik an der Scholz-Orgel zum Klingen, während die Kölner Professorin Mechthild Georg Claudels Texte rezitierte und Professor Milan Sladek die Handlung durch seine pantomimische Darstellung erfahrbar machte.

Sladek spielte den Leidensweg Christi nach und schlüpfte dafür in auch in die Rollen seiner Richter, Hetzer und Wegbegleiter. Die Rufe des aufgebrachten Volks, das den Richtspruch von Pontius Pilatus erwartet, hallten im dramatisch anschwellenden Crescendo wieder, während Sladek nicht nur die Häme der Schaulustigen verkörperte, sondern das Publikum auch daran teilhaben ließ, wie Jesus hoffnungsvoll zu seinem Vater aufsieht. Sladeks Interpretation der Kreuzaufnahme, zu der auch das Aufsetzen der Dornenkrone gehörte, war erfüllt von einer schmerzhaften Entschlossenheit, als Jesus unter dem Gewicht des Kreuzes zitterte. Die von Leid und Schadenfreude verzerrten Gesichtszüge derer, in deren Rolle der Pantomime mit bloß einer Drehung und gekonnten Handgriffen an seinem Kostüm schlüpfte, wurden durch die weiße Schminke besonders deutlich.

An der vierten Station trifft Jesus auf Maria. „Die Mutter betrachtet ihren Sohn, die Kirche ihren Erlöser“, las Georg – die Intimität zwischen den beiden sichtbar gemacht durch Sladek, der als Maria die Tränen und den Schweiß des Gepeinigten abtupft und das Publikum stumm daran teilhaben lässt, wie sich die Mutter an das Aufziehen ihres Sohnes zurückerinnert. Jahre der mütterlichen Hingabe laufen auf diesen Moment hinaus, und so schöpft Jesus trotz allen Schmerzes Kraft aus der Begegnung.

Einen Tuchwirbel später ist Sladek in die Haut eines neuen Protagonisten geschlüpft. Dieses Mal verkörperte er Simon von Cyrene, der Jesus dabei hilft, das Kreuz zu tragen – begleitet von Düchtels zweistimmigen Kanon an der Orgel. Veronika, die Jesus das Schweißtuch reicht, die Menge, die urteilend zusieht, während Jesus immer wieder unter der Last des Kreuzes fällt, die klagenden Frauen Israels und die spottenden Henkersknechte, die Jesus seiner Kleider berauben: Ihnen allen verlieh Sladek still eine Stimme und eine Geschichte. Zu Düchtels hämmernden Anschlägen auf dem Orgelmanual wurde Jesus von Sladek neben Gestas und Dismas ans Kreuz genagelt – im Leitfaden zum Konzert heißt es treffend, dass die Orgel an dieser Stelle nicht mehr ihren Platz als „Königin der Instrumente“ einnimmt, sondern zur Künderin der Schmerzen wird. Das musikalische Leidmotiv wiederholt sich, bis Jesus schließlich am Kreuz stirbt, und sein letzter Atemzug dumpf dröhnend durch das Hauptschiff von St. Lambertus hallte.

Zum Grabeszug, der letzten Station, setzte Sladek dem Geschehenen mit einer Rekapitulation eine nachdrückliche und dornige Krone auf – und verlieh mit seinem Abgang von der Bühne dem Warten auf die Auferstehung Gestalt. Nach einem kurzen Augenblick, in dem das Publikum die Aufführung bei gelöschtem Licht nachwirken ließ, donnerte ein langanhaltender Applaus für die drei Akteure durch die Pfarrkirche.

Die Kölner Professorin Mechthild Georg rezitierte die emotionalen Dichtungen von Paul Cladel.

Die Kölner Professorin Mechthild Georg rezitierte die emotionalen Dichtungen von Paul Cladel.

Foto: Ruth Klapproth

„Die Texte von Claudel sind überhaupt der Grund, warum dieses grandiose Orgelwerk existiert, und sie gehören in meinen Augen einfach untrennbar zu einer Aufführung des Kreuzwegs dazu“, sagte Kantor Knauer. „Ich wollte diese Kombination aus Text, Musik und Darstellung schon immer so in Erkelenz zur Aufführung bringen – auf der Chororgel war es aber nicht darstellbar, dafür ist sie zu klein. Ich habe immer gesagt: Im ersten Jahr, in dem die neue Hauptorgel steht, wird der Kreuzweg bei uns realisiert“, erläuterte Knauer inbrünstig.

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