Auslandsjahr Kontroverser Aspekt: Schule oder Arbeit?

Erkelenz · Pralle Nachmittagssonne. Die Luft ist geschwängert mit Abgasen, Geruch von totem Fisch, frischen Kräutern und menschlichen Ausdünstungen. Ein ohrenbetäubender Lärm von Warenanpreisungen und Motorradgehupe lässt mich weiter vorwärts stolpern. Die Straße vor mir flimmert in der prallen Mittagssonne und die Luft scheint jegliche Zirkulation eingestellt zu haben. Ich gehe über den Markt "Ouando", Porto Novos kommerzielles Zentrum.

Rechts und links Stände, zusammengebunden aus knochigem Holz. Ich versuche der Reizüberflutung Herr zu werden und so viele Dinge wie möglich aufzunehmen, aber gleichzeitig keinen allzu interessierten Anschein zu erwecken, um nicht unmittelbar in hitzige Preisverhandlungen zu geraten. Und da ist es wieder: mein allgegenwertiger Begleiter, mein zweiter Vorname "Yovo". Das ist Gum, eine von mehr als 53 ethnischen Sprachen Benins, und bedeutet "Weiße(r)". Wie mein Gastvater mir bereits zu Anfang erklärte, sei dies kein rassistisch geprägter Ausruf, sondern bringe vielmehr die Zufriedenheit der jeweiligen Person über den Anblick einer weißen Person zum Ausdruck. Dass dies, von unserem Blickwinkel aus betrachtet und angesichts der Historie, für uns eher gewöhnungsbedürftig erscheint, ist wohl außer Frage. Die Yovo-Rufe begleiten mich überall hin; sei es eine Schar von Kindern, die auf der Straße fröhlich zu tanzen beginnen und in dieselbe Melodie verfallen: "Yovo, Yovo, bonsoir, ca va bien, merci" ("Weißer, Weißer, Guten Abend, mir geht's gut, danke"), oder sei es das zeitweilig aggressivere Rufen der Verkäuferinnen auf dem Markt.

Auf dem Markt bekommt man so gut wie alles, wenn man nur lang genug sucht. Bei jedem Kauf geht es von neuem darum herauszufinden, ob gefeilscht werden kann oder es sich um einen Festpreis handelt. Das vermeintlich bunte Bild aus regem Getümmel, Warenfülle und Preisgefeilsche wird bei genauerem Betrachten getrübt. Die Straßen sind gepflastert mit Abfall und die Motorabgase erreichen eine Stärke, die mit Sicherheit auf Dauer gesundheitsschädlich ist. Woran man sich aber am schwersten gewöhnen kann, ist, dass ein Großteil der Verkäufer Kinder sind, manchmal erst im Grundschulalter. Sie halten einem Waren hin oder balancieren auf ihren schmalen Köpfen Tabletts mit schweren Kokosnüssen oder Orangen umher, und das jederzeit bei 30 Grad und im Gedränge.

Viele der Kinder schlafen und leben auf dem Markt. Zwar besteht in Benin Schulpflicht, dennoch arbeiten viele Kinder. Der Hauptgrund ist fehlendes Geld für die Schule. Viele Eltern aus ärmeren Verhältnissen sind außerdem überzeugt, dass diese Arbeit sie nicht nur finanziell entlastet, sondern auch effizienter ist als Schulbildung. Damit sind wir an einem kontroversen Aspekt angelangt: Natürlich ist es äußerst wichtig, dass daran gearbeitet wird, jedem Kind in Benin eine Schulbildung gewährleisten zu können. Trotzdem ist es nicht von der Hand zu weisen, dass es viele junge Menschen gibt, die trotz Abitur und Studium schlecht bezahlte Arbeit verrichten. Auch das Studium bedeutet für viele Aufopferung: Ein Mädchen, mit denen ich hier lebe, hat eine Schwester, die in Cotonou studiert und an manchen Tagen nichts isst, um die Kosten für Kopier- und Büchergeld tragen zu können.

Wie kann Bildung derartig wertvoll sein, dass man sie den Grundbedürfnissen voranstellt, und auf der anderen Seite des Globus ist für manche Schulbildung nur noch das notwendige Übel.

(RP/ac)
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