Stadtgeschichte Mädchenschule eine Erfolgsgeschichte

Erkelenz · 1905 wurde die von Nonnen geleitete Höhere Mädchenschule St. Canisius in Erkelenz eröffnet, in den letzten Tagen des Zweiten Weltkrieges wurde sie ein Opfer alliierter Bomben. Paula Hilberath und Else Rappenberg erinnern sich.

 Paula Hilberath lebt heute 98-jährig im Johanniter-Stift Erkelenz.

Paula Hilberath lebt heute 98-jährig im Johanniter-Stift Erkelenz.

Foto: Groob

Spätestens seit Erkelenz im Jahr 1326 durch die Herzöge von Geldern mit den Stadtrechten ausgestattet wurde, übernahm es die Rolle eines Oberzentrums im Erkelenzer Land – wozu, neben vielen anderen Vorzügen, heute unbedingt der Ruf der Schulstadt Erkelenz für junge Familien ein wichtiges Entscheidungskriterium ist zum Wechsel von der Großstadt in den ländlichen, aber modern strukturierten Bereich mit zwei Gymnasien, je einer Real- und Hauptschule, sieben Grundschulen an zehn Standorten sowie einem Berufskolleg mit Höheren Handelsschulen, Fachschulen und Fachoberschulen.

Dass es in der Stadt, deren Einwohnerzahl Richtung 50.000 steuert, zwei Gymnasien gibt, verlangt einen Blick in die Stadtgeschichte zur Wilhelminischen Zeit, als zu Ostern des Jahres 1905 neben der bestehenden Höheren Bürgerschule für Knaben (1830 als Nachfolgerin einer alten Lateinschule gegründet und 1856 zum Königliches Progymnasium geworden) die Höhere Mädchenschule St. Canisius ihre Pforten öffnete. Die vermutlich zwei ältesten noch lebenden Canisius-Schülerinnen (geboren im September 1919), die mit zehn Jahren von der Volksschule zur Mädchenschule wechselten, erinnern sich an die Zeit bis zur Mittleren Reife am Ende des Schuljahres 1934/35: Paula Hilberath und Else Rappenberg (geborene Trissler).

In die erste Klasse des „Canisius“ gingen ursprünglich 15 Mädchen, von denen neun schließlich das Einjährige machten: Neben Paula Hilberath und Else Trissler waren das Maria Paetz, Gertrud Wintz, Elsbeth Fingerhuth, Editha Rumpf, Gertrud Meyer, Charlotte Gaul und Eddami Lang. Else Rappenberg (Trissler) nahm den Schulweg von der Wohnung an der Hermann-Josef-Gormanns-Straße (damals Hermann-Josef-Straße) quer durch die Stadtmitte. Nicht selten traf sie unterwegs Helene Hilberath, die auf der Kölner Straße (damals Hindenburgstraße) wohnte, sowie die Klassenkameradin Maria Paetz, die schon einen kurzen Vorlauf hatte vom nahen Bahnhof aus, wo die Eltern (die Mutter war Schweizerin) die Bahnhofsgaststätte betrieben. An „St. Canisius“ angekommen, traf das Schülerinnen-Trio auf ein Doppelhaus an der Westpromenade (heute zwischen Zehnthofweg und Von-Reumont-Straße) im neugotischen Stil, das die Stadt Erkelenz 1918 von den Künstlerfamilien Peter Winkelnkemper und Harald Laumen gekauft hatte, und über dessen oberem Mittelfenster der Schulname in Stein gemeißelt war.

Die Schule mit der damaligen Postanschrift Westpromenade 12/14 lag gegenüber der Hofseite des Hermann-Josef-Stifts. Dieses zweite Heim der Schule, die ursprünglich im Körferschen Haus (ein Gebäude des Franziskanerklosters, heute steht dort die Stadthalle) in zwei Räumen begonnen hatte, wurde für die Unterrichtszwecke baulich verändert auf sieben kleine („aber hell und luftig“) Zimmer sowie einen Lehrmittelraum. Als störend wurde von Schulvorsteherin Schwester Alberta empfunden, „dass die Räume jetzt an der Autostraße liegen“. Im Dachgeschoss wurden später kleine Schlafzimmer für die unterrichtenden Nonnen eingerichtet, da die ursprüngliche Unterbringung im Hermann-Josef-Stift wegen des dort zunehmenden Bedarfs nicht mehr möglich war.

1905 bis 1910 war Schwester Hedwigis Schul-Vorsteherin, es folgte bis 1920 Schwester Caja. Während der Schulzeit von Paula Hilberath und Else Trissler fungierte Josef Fischer als Schulleiter und Religionslehrer. „Unterrichtsbeginn war um acht Uhr, Kernzeiten standen bereit für Deutsch, Englisch, Rechnen und Naturkunde“, weiß Else Rappenberg, die sich auch über die Turnstunde freute, „denn da ging es oft raus auf den Hofplatz hinter der Schule oder auf den nahen Sportplatz (heute Willy-Stein-Stadion), wo wir Völkerball spielten.“ Dass Else enge Verbindungen zur Natur hatte, war nicht verwunderlich, schließlich war ihr Vater Albert Trissler, der ursprünglich aus Reutlingen kam, beim Landratsamt des damaligen Kreises Erkelenz als Kreisobstbauinspektor tätig.

Paula Hilberath hatte es eher mit den musischen Fächern, was unbedingt familiär bedingt war: Leo Hilberath, der Vater des „Nesthäkchens“ (in Köln geboren als viertes Kind) war Musiklehrer „und in Erkelenz auch Dirigent eines Kirchenchörleins an St. Lambertus“ , O-Ton der Seniorin, deren Brüder Hans und Anton Hilberath später ebenfalls Musiklehrer wurden, während Schwester Helene ein namhaftes Musikgeschäft führte.

Neben Direktor Josef Fischer waren es meist Nonnen, die als Schulschwestern an der Mittelschule unterrichteten. Sie kamen aus dem Orden der „Armen Dienstmägde Jesu Christi“, der noch heute seinen Sitz in Dernbach/Westerwald hat. Die Verbindung nach Erkelenz lief über ein schon seit Jahrzehnten geführtes Pflegehaus für Arme, das Hermann-Josef-Stift, das gemäß den Wünschen der Erkelenzer Stadtväter auch den Schulschwestern Unterkunft bot. Gespräche und Verhandlungen mit dem Orden aus Dernbach führten der damalige Erkelenzer Bürgermeister (von 1900 bis 1916) Bernhard Hahn (geboren 1855 in Soller, gestorben 1931 in Erkelenz; auch Ehrenbürger) sowie Oberpfarrer Hermann-Josef Kamp (von 1903 bis 1931) an St. Lambertus, Prälat, Ehrendechant, Monsignore und Ehrenbürger (geboren 1849 in Merzenhausen, gestorben 1931 in Erkelenz). In einem Aufsatz, der in dem von Josef Gaspers und Leo Sels 1926 zur 600-Jahrfeier der Stadt Erkelenz herausgegebenen Jubiläumsbuch zu finden ist, schreibt die „ehrwürdige Schwester Alberta“ als Vorsteherin der Canisiusschule: „Die Schule trat mit Ostern 1905 ins Dasein. Schwester Hedwigis als Vorsteherin und Schwester Clara als Lehrerin begannen den Unterricht mit 20 Schülerinnen in zwei Klassen.“ Damit fand eine Odyssee ein Ende, die 1861 erstmals in der Erkelenzer Stadtchronik erwähnt wurde: „Fräulein Kersten aus Rees errichtete auf eigene Kosten ein Pensionat mit einer höheren Töchterschule auf der Aachener Straße 19 und 21.“ Diese hielt aber nur wenige Jahre. Dann wurde 1882 auf Veranlassung des Preußischen Landrats Adolph Dombois (1823-1891) eine Familienschule gegründet, die auch nur drei Jahre bestand. Daneben gab es private Pensionate, unter anderem geleitet von den Frauen Warlimont sowie Elise Schilling (1832-1907), die unter dem Pseudonym Ernst Lingen als Schriftsteller/in wirkte. Die wohl bekannteste Arbeit ist die Novelle „Vergib und Vergiß“, die sogar in den USA einen übersetzenden Verlag fand.

Die Höhere Mädchenschule St. Canisius machte sich zusehends einen Namen, was sich auch an der Schülerinnenzahl zeigte: 1910 waren es schon 33, 1913 dann 41 und 1916 gar 80. Nun wurde die Mittelstufe in drei Klassen geteilt. Die Schülerinnen kamen hauptsächlich aus Erkelenz, etwa 20 Prozent aus dem Kreis Erkelenz. Dem Bekenntnis nach waren sie vorwiegend katholischen Glaubens, die Zahl der Protestanten lag ungefähr bei einem Zehntel. Die von den Schulleitungen angestrebte Aufstockung der Höheren Mädchenschule in den Rang eines Lyzeums, die eine kontinuierliche Schülerinnenzahl von 130 bis 150 sowie bauliche Veränderungen erforderlich gemacht hätte, kam aber nicht mehr zum Tragen, weil das Gebäude an der Westpromenade bei einem Bombenangriff der Alliierten auf Erkelenz in den letzten Tagen des Zweiten Weltkriegs vollständig zerstört wurde.

Nach dem Krieg wurden Mädchen und Jungen zunächst in einem neugebauten Gymnasium (heute lehrt dort am Zehnthofweg 2 die Hauptschule) gemeinsam unterrichtet, dann 1965 in ein Jungengymnasium (Schulring 6) und ein Mädchengymnasium (Schulring 4) geteilt. Das Jungengymnasium (1980 nach dem Universalgelehrten Cusanus benannt) wurde 1968 in eine koedukative Schule umgeformt, das Mädchengymnasium, inzwischen nach dem Erkelenzer Barockmusiker und -komponisten Cornelius Burgh benannt, unterrichtet seit dem Jahre 1985 auch beide Geschlechter. Das Cornelius-Burgh-Gymnasium zählt aktuell 388 Mädchen und 301 Jungen, das Cusanus-Gymnasium 869 Mädchen und 772 Jungen.

Könnten Paula Hilberath und Else Rappenberg an der „Zeituhr“ zwischen 1935 und 2018 drehen, hätte ihre St.-Canisius-Mädchenschule mit 1257 Schülerinnen ganz sicher den Status eines Lyzeums erreicht.

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